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Talkshow der Kaputtheiten

Die Kolumnistin Sibylle Berg hasst das Theater. Trotzdem haben ihre Texte Konjunktur auf deutschen Bühnen. Eben hatte ihr Stück „Eine Stunde Glück“ in Heidelberg Premiere

Sibylle Berg ist keine Dramatikerin. Sie ist eine Kolumnistin – böse, aber hoch moralisch. Ihre Romane, drei an der Zahl bislang, waren als eigenständige Texte allerdings nur schwer erträglich und erweckten immer den Eindruck von auf Länge gebrachten Kolumnen, satt von Blut und Eingeweiden. Eine Dramatikerin ist sie, wie gesagt, erst recht nicht.

Vielleicht reizt ja gerade das die Theater. Drei Berg-Inszenierungen gibt es seit einem Jahr, eine dramatisierte Version ihres Romanerstlings „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“ im Stuttgarter Theater Rampe 1999, „Helges Leben“ zur Eröffnung von Matthias Hartmanns Bochumer Schauspielhaus im Oktober und jüngst „Eine Stunde Glück“ als Auftragsarbeit des Stadttheaters Heidelberg. Das ist insofern von Bedeutung, weil Berg aus ihrer Abneigung gegen das Medium Theater nie einen Hehl gemacht hat. Wie einer ihrer gern zitierten, schönen Hasstexte aus dem seligen Zeit-Magazin grantelt: „Sollen die Theater doch dicht machen, von mir aus. Schauspieler mag ich sowieso nicht. Eitle Fatzken meist, die ohne Anleitung in ihrer dünnen Seele wühlen und glauben, die Welt verlange danach, zu sehen, was sie in sich haben. Theater zu subventionieren ist, als würde man seit Jahrtausenden den Erhalt der Höhlenmalerei subventionieren.“ Wow.

Frau Berg, wie sie sich in Programmzetteln gern nennen lässt, ist in ihren Polemiken gegen die Innerlichkeit eine erklärte Feindin des Stadttheaters. Und damit eine Freundin des Stadttheaters, das keines mehr sein will: Innerlichkeit raus, Pop und Blut und Sex rein. Die momentane Konjunktur Bergs korrespondiert mit der Krise, in der sich das Prinzip Dreispartenhaus befindet, seit offenbar wird, dass das Bildungsbürgertum – die Schicht, die ihm bislang Legitimation war – in atemberaubendem Tempo wegbricht.

Zum Beispiel in Heidelberg. Am Stadttheater. Seit Herbst ist Günther Beelitz hier Intendant, vom Nationaltheater Weimar kommt er, wo er sich vor allem durch umsichtige Mangelverwaltung verdient gemacht hat. Eine Begründung musste er in Thüringen finden, weswegen seine Bühne nicht mit der im nur zwanzig Kilometer entfernten Erfurt fusionieren durfte, und eine Begründung muss er jetzt am Neckar finden, weswegen er ein Haus bespielt, das seit Jahren einen stetigen Zuschauerschwund ertragen muss.

Seine Begründung heißt: Neuerfindung eines Theaters. Als Schauspielchef hat er den 37-jährigen Wolfgang Maria Bauer mitgebracht, der gern mit dem Image des sanften Wilden kokettiert und mit einer sehr heutigen Sicht auf Schillers „Räuber“ einen durchaus interessanten Einstand hinlegen konnte. Darüber hinaus scheint sich Heidelberg einen Ruf als Uraufführungstheater erspielen zu wollen: Erst vor einer Woche inszenierte Nikolaus Büchel Klaus Pohls „Die Nacht des Schicksals“ im Großen Haus, jetzt machte sich Bauer an Bergs „Eine Stunde Glück“ in der Nebenspielstätte „Zwinger“.

Die Szene ist eine Talkshow: Vier Kandidaten wetteifern, wer das kaputteste Leben führt. Paul (Hannsjörg Schuster) wurde nie richtig geliebt, Kurt (Dirk Diekmann) ekelt sich vor dem eigenen Begehren, Renate (Elisabeth Auer) dämmert zwischen Kindesmissbrauch und Gewalt in der Ehe dahin und Sarah (Susanne Berckhemer) ist einfach nur gelangweilt. Wer das Publikum am tiefsten gerührt hat, darf sich am Ende selbst hinrichten; es wird Kurt sein. So weit, so traurig.

Aber Berg ist keine Dramatikerin; ihre Stücke sind monologisch aufgebaute Anklagen gegen den Zynismus der Warengesellschaft, die ihren Reiz durch das schnelle Wechselspiel zwischen laut und leise gewinnen. „Eine Stunde Glück“ ist ein raffinierter Text, Theater ist er nicht: Es ist einfach nicht interessant, Menschen zuzusehen, die im Kreis sitzen und sich Erlebtes erzählen. Momentweise lässt Bauer dann aber doch noch aufscheinen, was über ein Verständnis von Theater als reiner Fabel hinausweisen könnte: In den Momenten der absoluten Stille, in denen die Talkshow eine Werbepause einlegt. Dann wird der Raum zwischen den Figuren unüberbrückbar, werden die Langeweile und der Leerlauf spürbar, den man im endlosen Erzählfluss des Kinderfickens und der platzenden Venen nur ahnen konnte. Ansonsten: Ödes Bemühen um Härte, um Jugendlichkeit. Bauer will kein Stadttheater machen. Willkommen.

FALK SCHREIBER

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