: Die hilflosen Entertainer
Jörg Haider an die Wand stellen und Angela Merkel die Haare schneiden: Stermann und Grissemann sind Österreichs umstrittenstes Komiker-Duo und wurden beim ORB auch schon mal vom Dienst suspendiert. Ihre wöchentliche „Show Royale“ auf Radio Eins gilt allerdings immer noch als Geheimtipp
von PAMELA JAHN
Grissemann ist am Ende: „Mein Frühstück heißt Depression, mein Abendessen Selbstmord. Das Einzige, was in mir lebt, ist tot.“ Daraufhin erklärt Stermann, er habe soeben zum ersten Mal wahre Liebe erfahren: „Meine Frau tut sich ja immer sehr schwer damit, mich zu erreichen. Ich habe in der Regel so viele Groupies im Arm, dass ich den Hörer nicht abheben kann, weil ich die Hände nicht frei habe. Deshalb hat sie mir jetzt eine Freisprechanlage geschenkt.“
Lustig, nicht wahr? Es soll Leute in unseren Gefilden geben, die sich immer wieder sonntags den Wecker auf 16 Uhr stellen, um bloß nicht den unumstritten grottenschlechtesten Song aller Zeiten zu versäumen: „Red Red Wine“ von UB40. Auf den Opener folgen zwei Stunden zynische Witze, entlarvende Tagebücher, schlitzohriger Telefonterror, abstruse Hör-Spiele und platteste Dialoge zwischen Beschimpfung, Blödsinn und Subtilität – zwei Stunden Stermann und Grissemann pur. „Show Royale“ heißt die skurrile Sendung des deutsch-österreichischen Moderatorenduos, die in Berlin und Brandenburg seit drei Jahren wöchentlich auf Radio Eins läuft.
In Österreich werden Stermann und Grissemann mit ihren anarchistischen Rundfunksendungen „Salon Helga“ und „Blech oder Blume“, vom Konzept her die Vorreiter der „Show Royale“, seit Jahren von der jungen, studentischen Hörerschaft des Senders FM 4 umjubelt. Das Geheimnis ihres Erfolgs scheint banal: „Unsere Sendung entsteht eigentlich aus dem Nichts heraus“, sagt Dirk Stermann, „so, wie wir aus dem Nichts leben. Nichts haben, an nichts denken, und dann anfangen.“ Und das vierhändig, laut Christoph Grissemann, der sich in zehn Minuten bereits die dritte Zigarette ansteckt, während Stermann eine Sektflasche leert: „Wir sitzen dann zu zweit vor dem Computer, und einer von uns beginnt einen Satz, den der andere dann fertig schreibt.“
Stermann und Grissemann definieren, was lustig ist und was nicht, auf die Erwartungen der Zuhörer nehmen sie keine Rücksicht. Trotzdem lauschen die regelmäßig den geheimen Tagebüchern von Verona Feldbusch („Dritter zwölfter Dezember. Lieber Tagebuch . . .“) oder „Big Brother“-Alex, verfolgen die „Alpensaga“ um „Köhler-Finzenz“ und „Büchsen-Gustl“.
Im Gegensatz zu den vielen „richtigen“ Kabarettisten, die sie nie sein wollen, verzichten die beiden Österreicher auf professionelle Gagschreiber sowie einen dramaturgischen Rahmen in der Show. Sie fabrizieren alles selber, jeden noch so schlechten Witz, und das nicht selten aus der Not heraus, wenn im Studio unvorbereitet das Rotlicht angeht und plötzlich die Sendung beginnt.
Und dann lacht unsereins. Über Stars, über „Möchtegern“-Sternchen und über sich selbst. Gerne lacht man aber auch über Behinderte, Tote, verhungernde Kinder in der Dritten Welt, siamesische Zwillige, die so richtig zusammenhalten, oder Angela Merkels linksradikalen Friseur: Vor Gott, Stermann und Grissemann sind alle normalsterblichen Witzfiguren gleich.
Da man in Österreich seit einiger Zeit allerdings nicht mehr für jeden Spaß zu haben ist, wurden Stermann und Grissemann in diesem Jahr vorübergehend vom ORF suspendiert. Volltrunken, wie es so ihre Art ist, hatten sie in einem „Satiregespräch“ die unschöne Bemerkung zum Besten gegeben, Haider sei nur zu stoppen, wenn man ihn erschieße. Mittlerweile ist die Sache gerichtlich beigelegt, und das Moderatoren-Ehepaar ist auch im Wiener Funkhaus wieder on air.
Hier haben sich die beiden 34-Jährigen Mitte der 80er kennen gelernt und sind trotz unterschiedlicher Interessen – Stermann liest viel und liebt Fußball, Grissemann liest wenig und schaut viel Tennis – seither die besten Freunde. Nach zwei Jahren Jugendreportagen bekamen sie ihre eigene Show. „Man hat uns einfach mal machen lassen, und irgendwann wäre es zu peinlich gewesen, uns rauszuwerfen“, erzählt Grissemann, der mittlerweile die sechste Zigarette raucht.
Viel schwieriger war es da allerdings für die österreichischen Comedy-Exoten, sich in der rauen brandenburgischen Rundfunkprovinz durchzusetzen. „Die ersten anderthalb Jahre waren schon schwierig,“ erinnert sich Stermann: „Die Leute fanden das merkwürdig, dass da zwei Typen, die nur Schwachsinn machen, extra aus Österreich eingeflogen werden. Da wurdest du dann vom Koch nicht bedient und vom Pförtner nicht reingelassen, weil die die Sendung Scheiße fanden.“
Mittlerweile genießen Stermann und Grissemann auch beim ORB unbegrenzte Narrenfreiheit. Und so langsam strömen nun auch hierzulande die jungen Menschen schon zu Hunderten zu den Liveauftritten der beiden – zuletzt in „Die Karawane des Grauens“. Grisseman und Stermann bleiben bescheiden: „Wir sind doch eigentlich nur zwei Radiomoderatoren, die plötzlich auch auf die Bühne geworfen wurden. Hilflose Entertainer – mehr nicht.“
Sonntags 16–18 Uhr, Radio Eins
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