: Hauptstadt ganz in Weiß
Nun also doch: In Berlin, und nur dort, gab es weiße Weihnachten. Ganz in Weiß war die Stadt, und am Reichstag drohte eine Lawinenkatastrophe. Zu Silvester soll es allerdings wieder wärmer werden
von UWE RADA
Pünktlich Heiligmittag um 15 Uhr hat Frau Holle der Hauptstadt neue Postkartenmotive geschenkt. Weiße Gewänder auf den Bäumen im Friedrichshain, Schneestille, nur vom Knirschen der eigenen Schritte unterbrochen, in den Seitenstraßen, Lawinengefahr unter der Reichstagskuppel. Bis zu zwölf Zentimeter Neuschnee brachten die Feiertage und damit den Berlinern ein, wie soll man es anders sagen, Jahrhundertereignis. Statistisch gesehen (siehe taz vom 20. Dezember) leiserieselte der Schnee im Raum Berlin/Brandenburg in den vergangenen hundert Jahren nämlich nur siebenmal.
In den Hauptnachrichten des Fernsehens gehörten die Schneebilder aus der Hauptstadt zu den Topmeldungen. Während andere Teile der Republik im Dauerregen versanken, glänzte Berlin in seiner weißen Pracht. Selbst die Reichstagskuppel brachte es in die Schlagzeilen. Weil die Schneemassen auf Sir Norman Fosters Glaskugel bedenklich herabgerutscht waren, wurde kurzerhand ein Schließtag eingelegt. Nach Angaben einer Sprecherin des Bundestags hatte der nachrutschende Schnee die Besucherschlangen vor dem Reichstag in Gefahr gebracht. Lawinengefahr in der Norddeutschen Tiefebene – wann hatte es das zum letzten Mal gegeben?
Aber auch sonst brachte der Neuschnee allerlei Skurriles zutage. In Prenzlauer Berg zum Beispiel schubberte ein Schneeräumfahrzeug die Bürgersteine entlang – mal mit erhobener Schippe, mal mit gesenkter. Das Auf und Ab dirigierte ein detaillierter Schneeräumbeseitigungsplan, dem die Verträge zwischen der Schneeräumfirma und den privaten Hauseigentümer zugrunde liegen. Die Privatisierung kommunaler Aufgaben reißt also nicht nur Löcher, sondern lässt dazwischen auch Schnee liegen. Immerhin.
Die Straßen selbst gehören ohnehin noch der Berliner Stadtreinigung, und die war nach Angaben eines Sprechers hoch motiviert. Rund 18.500 Kreuzungen auf etwa 7.000 Straßenkilometern hatten die Weihnachtsmänner von der BSR zu bewältigen. Zugleich wies die BSR Anschuldigungen zurück, den Westteil der Stadt mit einer Vorzugsschneebeseitigung bedacht zu haben. Die BSR, hieß es, sei für die ganze Stadt da, und setze die Maschinen ausgewogen ein.
Den Berlinern, so sie nicht zu den notorischen Autofahrern gehören, war an einer Schneebeseitigung während der Feiertage ohnehin nicht gelegen. Zu Hunderttausenden pilgerten sie in den Tierpark Friedrichsfelde, den Botanischen Garten oder in die zahlreichen Parks, und glücklich schätzten sich jene, die unter den Weihnachtsbaum einen Schlitten gelegt hatten.
Doch den Schlitten kommt bald schon wieder Sand unter die Kufen. Bis Silvester soll die Temperatur auf acht Grad steigen. Zeit also für die Straßencafés das neue Jahr gleich mit dem Beginn der Freiluftsaison zu begrüßen. Aber vielleicht kommt ja alles wieder anders. Schließlich gab’s 2000 nicht nur den heißesten Mai, sondern auch den mit Abstand kältesten Juli der gefühlten Zeitrechnung.
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