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„Das Volk steht nicht felsenfest hinter den Wahlsiegern“

Der Filmemacher Zoran Solomun ist skeptisch: Die Umstellung der Wirtschaft samt den sozialen Härten wird den Anhängern des alten Systems in die Hände spielen

taz: Die neue serbische Regierung steht vor schier unlösbaren sozialen Problemen. Was muss sie tun, damit es vorwärts geht in Jugoslawien?

Zoran Solomun: Alles, was jetzt in Serbien passieren muss, ist in den angrenzenden exsozialistischen Ländern in den letzten zehn Jahren passiert. Um herauszufinden, was die neue Regierung jetzt tun muss, könnten wir also mathematisch vorgehen und eine Art arithmetisches Mittel aus den Erfahrungen von Ungarn und Bulgarien seit 1989 berechnen – das dürfte ungefähr die Perspektive Serbiens für die nächsten zehn Jahre sein. Nur das dieser Prozess in Serbien wesentlich schneller vor sich gehen und damit weit einschneidender sein wird. Wenn die Wirtschaft privatisiert und an die Gesetze des Weltmarkts und seiner Institutionen angepasst wird, hat das die bekannten sozialen Folgen, an denen auch eine Regierung unter Zoran Djindjić nichts wird ändern können.

Sie sind pessimistisch. Kein Hoffnungsschimmer in Sicht?

Das ist kein Pessimismus. Das ist nur realistisch. Das Einzige, was dem Land bei diesem Prozess helfen kann, sind bisher versteckte wirtschaftliche Potenziale. Die Wirtschaft des alten Jugoslawiens war der westlichen ähnlicher als die der Länder des Ostblocks. Schon zu Zeiten des Sozialismus wurden hier westliche Produkte gefertigt. Das könnte Serbien jetzt zupass kommen.

Die einzige Überraschung der Wahlen ist das gute Abschneiden der ultra-nationalistischen Partei der Serbischen Einheit, die vom wegen Kriegsverbrechen angeklagten, inzwischen ermordeten Freischärler „Arkan“ gegründet worden ist. Wer wählt eine solche Partei?

Für diese Partei haben Menschen mit einem mehr oder minder faschistoiden Weltbild gestimmt, die sich im alten System unter Milošević wohl gefühlt haben. Ich denke, es ist gar nicht wichtig, welche Partei aus dieser Richtung – Milošević’ Sozialisten, Šešeljs Radikale oder die Partei der Serbischen Einheit – wie viele Stimmen erhalten hat. Um zu erfahren, wie viele Leute keine Veränderungen wollen, muss man nur diese Stimmen zusammenzählen.

Werden diese Parteien trotz der Zweidrittelmehrheit für das Bündnis DOS ihren Einfluss geltend machen können?

Hinter dem Sturz Milosevic’ stand der Wunsch eines großen Teils der Bevölkerung nach Veränderung. Das, was jetzt kommt, ist gewissermaßen der Roll-back: Jetzt melden sich diejenigen Serbinnen und Serben zu Wort, die Angst vor Veränderungen haben. Wir sollten nicht vergessen, dass der Nationalismus hierzulande in den letzten 13 Jahren staatlich gefödert wurde. Ich denke, die neue Regierung wird damit weit mehr Probleme haben, als sie bisher annimmt. Die Demokratische Opposition Serbiens lebt in der Illusion, dass das Volk massenhaft und felsenfest hinter ihr steht. Das stimmt nicht: Die Leute standen massenhaft hinter der Forderung, dass Milošević abtritt, weil sie sich davon eine Verbesserung der Lage erhofften. Jetzt, wo sie bemerken, dass sie selbst etwas für diese Verbesserung tun müssen, sind sie enttäuscht.

Jugoslawische Intellektuelle fordern derzeit eine Art „Entnazifizierung“ für Serbien: Die Säuberung sowohl der Institutionen als auch der Kultur vom Erbe von 13 Jahren des Regimes Milošević. Was halten Sie von der Idee?

Ich bin absolut davon überzeugt, dass so etwas wie die Entnazifizierung in Deutschland hier nötig ist – aber ich weiß nicht, welche soziale Gruppe und welche Institutionen das durchführen könnten. Hier sind alle kompromittiert: Angefangen von der Kirche, über die Akademie der Wissenschaften, die Universitäten . . . Eine De-Miloševićisierung Serbiens, eine Emanzipation vom Nationalismus und vom Faschismus, kann nur ausgehen von den neuen politischen Bewegungen, die in den letzten zehn Jahren entstanden sind. Ich meine vor allem feministische Gruppen wie die „Frauen in Schwarz“, die Deserteure, unabhängige Gewerkschaften wie „Nezavisnost“ und die Pazifisten. Diesen kleinen Gruppen muss geholfen werden. Sie sind die Einzigen, von denen in Zukunft emanzipatorische Impulse ausgehen könnten.

Interview: RÜDIGER ROSSIG

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