: Eine alteingesessene Familie
Die Zutts sind rührig: Mutter Doris ist Bundesvorsitzende der NPD, Vater Alfred führt den rechten Devotionalienladen, die Tochter hilft aus
aus Ehringshausen HEIDE PLATEN
Das kann nur Galgenhumor sein. Langweilig sind solche Gemeinderatssitzungen anderswo in der Provinz, schrecklich langweilig und nervenzerrend kontrovers. Friedhofsverschönerungen, Grundstücksverkäufe, Parkplatzbeleuchtung, zum Gähnen. Wenn da nicht die Familie Zutt wäre: „Die schweißt uns andere doch wenigstens zusammen“, sagt der parteilose Bürgermeister Eberhard Niebch. Lacht grimmig und rammt die Gabel in sein Hirschgulasch, als wolle er das Tier noch einmal umbringen. Der CDU-Mann Werner Neu attackiert seinen Braten und murmelt etwas von „bleihaltiger Luft“.
Die NPDler isoliert
Im Bürgerhof des mittelhessischen Ehringshausen, Ortsteil Katzenfurt, ist die letzte Gemeinderatssitzung des Jahres 2000 zu Ende gegangen, das traditionelle Weihnachtsessen serviert. Die VertreterInnen der SPD, CDU und der Freien Wählergemeinschaft (FWG) haben sich zügig geeinigt, sind eng zusammengerückt und sitzen nun parteiübergreifend zu Tisch. Der gemeinsame Gegner, die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), ist durch den Durchgang gut zu sehen. Sie speist im Nebenraum. Vorsitzende Doris Zutt (45) und Ehemann Alfred, die Tochter, der Schwiegersohn und der eher unauffällige Rest der sieben Fraktionsmitglieder arbeiten sich isoliert durch die ländlichen Portionen.
Zutts sind an diesem Abend ein unerschöpfliches Gesprächsthema, ein Hassobjekt im Gemeindeparlament, werden den Gästen gezeigt, angestarrt wie die siebenköpfige Hydra, mit Blicken erdolcht. Der Clan reagiert in geschlossener Skurrilität: trotzig synchrones Lächeln, Grüßen, Kopfnicken bei jedem bösen Blick. Da guckt es sich besser schnell wieder weg.
In Ehringshausen, 9.700 Einwohner, haben 1997 bei der letzten Kommunalwahl 22,9 Prozent der Wähler für die NPD gestimmt. Sie wurde drittstärkste Partei nach SPD und Freien Wählern und vor der CDU. Das brachte dem Ort die bundesweit prozentual höchste Quote von Neonazis im Rathaus, zwei davon in den Gemeindevorstand. Und dem Ort damit zweifelhaften Ruhm.
Als die Altenpflegerin und NPD-Bundesvorsitzende Doris Zutt vor zwei Jahren mitten im Ortskern auch noch den rechten Devotionalienladen „Patrioten-Treff“ eröffnete, gerieten die Ehringshausener zu ihrem Leidwesen ins grelle Licht der Medienöffentlichkeit.
Da konnte man nicht mehr wegsehen. Nach und nach formierte sich mit Hilfe von Kirchen, Gewerkschaften und der Wetzlarer Neuen Zeitung eine Initiative gegen rechts, man verteilte Flugblätter und lud zu Diskussionsveranstaltungen. Höhepunkt war ein Diskussionsforum im November, zu dem als Hauptredner der Vizepräsident des Zentralrats der Juden Deutschlands, Michel Friedman, geladen war. Der las den Bürgern des Ortes und der Region so gründlich die Leviten, dass einige der auf dem Podium versammelten Bürgermeister und Honoratioren verschnupft reagierten. Das sei ungerecht, sie hätten inzwischen selbst eingesehen, dass der anfängliche Versuch, die NPD durch Einbindung in die Gemeindearbeit zu neutralisieren, ein Fehler war, die Hoffnung, die NPD werde dadurch „zu den Grundregeln der demokratischen Ordnung“ finden, eine Illusion. Aber: Alle drei Parteien, Bürgermeister Niebch und die beiden Pfarrer im Ort hätten schließlich schon im Februar 1999 einen Offenen Brief unterzeichnet: „Das Maß ist voll. Wir haben vielleicht zu lange geschwiegen.“
Zutts „Patrioten Treff“ Ecke Bahnhofs-/Wetzlarer Straße ist ein kleines, etwas schiefes Eckhaus. Es gehört der alteingesessenen Familie Alfred Zutt. Er führt den Laden, die Tochter hilft aus. Zutts geben sich volkstümlich und sind auf jedem Fest zu sehen. Doris Zutt kandidierte 1997 zur Bürgermeisterwahl gegen Niebch. In ihrem Wahlprogramm stand die Todesstrafe für Gewaltverbrechen ebenso wie deutsche Kindergartenplätze für deutsche Kinder. Mit der Presse reden die Zutts nicht mehr. Schaufenster und Tür des Ladens sind mit Drahtgittern geschützt. Am Giebel hängt ein Transparent: „Argumente statt Verbote. Nein zum NPD-Verbot.“ In den Fenstern liegen CDs, Aufkleber, T-Shirts. Knüller des Sortiments sind zwei Duftwässer: „Nationalist“ und „Walküre“. Das Geschäft ist zum Treffpunkt der rechten Szene geworden. Junge Skinheads reisen von weither an. Der Sohn betreibt inzwischen eine Zweigstelle in Mecklenburg-Vorpommern in der Kleinstadt Waren. Aber auch dort regt sich inzwischen Widerstand.
Ehringshausen. Lang ziehen sich die Hauptstraßen der neun Ortsteile durch das schmale Tal der Dill und über den angrenzenden Höhenrücken, keine heimeligen Ortskerne, wenig Fachwerk, kaum Sehenswürdigkeiten. Die Gemeinde hat eine ordentliche Infrastruktur, florierendes Gewerbe, Eisen verarbeitende und Kunststoffindustrie, niedrige Arbeitslosenzahlen, geringe Ausländerquote, eine gut gefüllte Stadtkasse. Der örtliche SPD-Vorsitzende Jürgen Mock ist ratlos. Wer wählt hier NPD und warum nur? Straßenbefragungen der Lokalpresse endeten jedesmal ergebnislos. Keine Antworten, nur Abwehr: „Niemand gibt das zu. Keiner will die gewählt haben.“
Ein SPDler erinnert sich, dass das traditionell sozialdemokratische Ehringshausen schon einmal rechts gewählt habe. Schon vor 1933, sagen die Alten, habe die NSDAP in einigen Ortsteilen hohe Stimmenzahlen erreicht: „Fast 80 Prozent.“ Seinen Namen will der Mann lieber ungenannt wissen: „Ich bin Familienvater.“
Rechte Gewalt habe es in der Hochburg der Zutts zwar noch nicht gegeben: „Die machen hier nichts“, sagt Mock. Aber eines Nachts ist das Pfarrhaus von Unbekannten beschmiert worden, Hakenkreuze, SS-Runen: „Du Pfaffensau, wir kriegen dich.“ Am Rathaus standen Parolen, die die Freie Wählergemeinschaft attackierten, „FWG verrecke“, auf dem Auto des Bürgermeisters pappten Aufkleber der Jungen Nationaldemokraten gegen „Scheinasylanten und Überfremdung“. Jürgen Mock erhielt Drohbriefe und -anrufe. Die Täter? Unbekannt. Da war der namentlich gezeichnete Feriengruß des Ehepaares Zutt, mit dem alle Fraktionsvorsitzenden in Ehringshausen bedacht wurden, nachgerade harmlos. Nackte Hinterteile zierten die Postkarte vorne, hinten hatte Doris Zutt kein Blatt vor den Mund genommen: „Diese Welt hat nur ein Ozonloch, aber jede Menge Arschlöcher.“
Bei diesem Umgangston kommt nicht gerade Freude auf. Die Stimmung im Gemeindesaal ist gereizt. Doris Zutt hat sich für die letzte Gemeinderatssitzung des Jahres wieder einmal besonders fein gemacht. Die Augen blicken groß und aufgeregt durch die dicke Brille, unter der ausgefranzten Dauerwelle baumeln Glitzerohrringe. Die rundliche Figur steckt in einem schlabbriggrauen Kapuzen-Shirt, auf der Brust in Schwarzrotgold: „Deutsch sein! Diese Freiheit nehme ich mir!“ – ein Stück offensichtlich aus dem eigenen Fundus. Stolz schlendert sie durch den Raum, führt ihr Outfit hier- und dorthin, ehe sie ihren schwarzen Aktenkoffer abstellt und in der ersten Reihe Platz nimmt. Sie zappelt und ruckt, reckt den Hals, kichert, schwätzt mit Mann und Tochter.
NPD-Mitglied verklagt
Die Zutts, sagen Leidgeprüfte im Saal, sind an diesem Tag ungewohnt zurückhaltend. Das mag an der für sie unangenehmen Nachrichtenlage liegen. Erst kürzlich hat das Landgericht Limburg das NPD-Mitglied Hantusch wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Er hatte in Deutschland lebende Ausländer im Sommer 1997 öffentlich „Sozialparasiten“ genannt. In erster Instanz war er freigesprochen, dieses Urteil dann vom Oberlandesgericht Frankfurt kassiert worden. Hantusch ist Gemeindevorstand in Ehringshausen und selbst im Saal. Er meldet sich schnell zu Wort, sagt, das Urteil sei für ihn nur ein „Schaulaufen“ gewesen und noch nicht rechtskräftig. Er habe dagegen Verfassungsklage erhoben. Im Saal wird aufgestöhnt, unwillig gegrummelt und schnell zur Tagesordnung übergegangen. Die Verabschiedung des Haushalts 2001 steht an. Alle werden ihm zustimmen, nur die NPD nicht. Alfred Zutt beschimpft den Finanzplan stattdessen als Machwerk „der Hofschranzen“ des Bürgermeisters. Außerdem sei das Schwimmbad zu teuer gewesen. Ehefrau Doris sekundiert populistisch. Den Bürgern von Ehringshausen werde „dauernd das Geld aus der Tasche gezogen“. Immer dasselbe, schimpfen die anderen Abgeordneten: „Dazwischenmeckern, nie zustimmen, alles blockieren, keine Verantwortung übernehmen. Das lähmt.“ Der FWG-Vorsitzende dankt allen drei Parteien, lädt zum Essen, wünscht frohe Weihnachten und der NPD gesondert einen „zügigen Abschluss des Verbotsverfahrens“.
Familie Zutt nebst Anhang hat sich unerwartet entschlossen, der Gemeindevertretung auch beim gemütlichen Teil des Abends die Ehre zu geben. Das erzeugt Irritation und wird unausweichlich Hauptthema bei Tisch. Zum Beispiel, wie CDUler Werner Neu den Alfred Zutt einmal mit der Polizei aus dem Gemeindesaal räumen ließ, weil der seine Zwischenrufe nicht lassen wollte. Die Zutts, da ist man sich einig, „werden immer wunderlicher“. Da habe Doris Zutt die örtliche Presse einmal zu einer spektakulären Aktion „mit Foto“ eingeladen. Im Gemeinderat werde „was ganz Spannendes passieren“. Dann aber habe die Frau während der ganzen Sitzung nur mit einem Schal um den Mund dagehockt, auf dem „irgendetwas“ Unlesbares gedruckt war. Man habe einfach darüber hinweggesehen. Oder ihr anderes T-Shirt: „Ich glaube eher an die Unschuld einer Hure, als an die Gerechtigkeit der deutschen Justiz.“ Auch darüber hat das Gemeindeparlament hinweggesehen.
Was tun?
CDU-Mann Neu wünscht die Zutts zum Teufel. SPD-Fraktionsvorsitzender Mock hofft auf das NPD-Verbot – und fürchtet: „Wenn das schief geht, dann haben die Oberwasser.“
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