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Sagt „Bild“ bald basta?

von GEORG LÖWISCH und PATRIK SCHWARZ

Gewiss, das Verhältnis war nicht immer ungetrübt. Aber alles in allem führten der Kanzler und das Gassenblatt zwei Jahre lang eine gedeihliche Zweierbeziehung. Schröder machte Politik für die Schlagzeilen und die Schlagzeilen belohnten ihn. Ärger gab es höchstens für unpopuläre Minister wie Trittin oder Riester. Dagegen stilisierte Bild-Chefredakteur Udo Röbel Schröder zum Machtwortkanzler („jetzt greift der Kanzler ein“). Auch durfte Schröders Frau Doris Schröder-Köpf in Gastkommentaren und Interviews Deutschlands Hausfrauen zur Seite stehen: „Kindern können auch vermeintliche Kleinigkeiten großen Kummer bereiten.“ Selbst die Süddeutsche Zeitung spendierte Lob: „Bild ist eine nette und enorm professionell gemachte, liberale Boulevardzeitung geworden.“

Die Frage ist, ob das so bleibt. Ab 1. Januar sitzt ein Neuer auf dem Chefsessel bei Bild. Wegen zu geringer Auflage (4,48 Millionen) wird Röbel von Kai Diekmann abgelöst. Der 36-Jährige war bisher nur für seine Nähe zu einem anderen Kanzler bekannt: Helmut Kohl (siehe Kasten). Das Schröder-Lager fürchtet sich schon. „Die Vergangenheit von Diekmann ist uns klar“, sagt SPD-Sprecher Michael Donnermeyer. „Wir befürchten, dass das schon einen Ruck gibt“, schätzt der Mitarbeiter einer Regierungsfraktion. „Die haben den Diekmann nicht aus Versehen da hingesetzt“, erklärt der Medienberater Klaus-Peter Schmidt-Deguelle, der für die Bundesregierung arbeitet: „Das Klima wird sich sicherlich verschlechtern.“

Diekmann steht nicht allein. Seit die Verlagseigner Leo Kirch und Friede Springer im Herbst den neuen Zeitungsvorstand Mathias Döpfner installierten, wurden reihenweise Sessel neu besetzt. Der liberale Chef der Bild am Sonntag (BamS) musste gehen, das Berliner Boulevard-Blatt B. Z. wird künftig von einem bekennenden Kohlianer geführt. Neue Männer bestimmen auch über den Kurs von Welt und Welt am Sonntag (WamS), die so genannte blaue Gruppe. Zwar hat von ihr schon in der Vergangenheit niemand behauptet, sie gehöre zur Arbeiterpresse. Doch bahnt sich womöglich eine neue Allianz an. Das größte Bedrohungsszenario der Schröder-Anhänger geht davon aus, dass sich im Hause Springer die Boulevardblätter mit den seriösen Zeitungen absprächen. BamS und WamS könnten so am Sonntag den Ton angeben, der sich dann bei Bild und Welt durch die Berichterstattung der gesamten Woche zieht. Kampagnen wären dann nicht mehr auf einzelne Lesergruppen beschränkt, fürchtet man im Regierungslager. „Hier unterschätzt keiner, wie die reinhauen können.“ Weihnachtsruhe herrscht nur im Bundespresseamt. Bela Anda, stellvertretender Regierungssprecher und lange Jahre Redakteur bei Bild und WamS, sieht in den Springer-Rochaden keinen Grund zur Aufregung: „Warten wir’s ab.“

Anderswo wird an Gegenstrategien von dialogbereit bis kämpferisch gewerkelt. „Man muss das erst mal im Guten versuchen: sich mal treffen, mal essen gehen, ein Interview geben“, sagt der Fraktionsmitarbeiter. SPD-Sprecher Donnermeyer hingegen verlangt von Bild eine „faire Behandlung“. Vermutlich weil Boulevardzeitungen nicht gerade für Fairplay berühmt sind, hat Regierungsberater Schmidt-Deguelle eine andere Idee. Wenn die Regierung nicht auf Neutralität stoße, müsse sie eben andere Wege suchen: „Dann muss man eben auf ARD, ZDF und RTL setzen.“ Talkmaster Erich Böhme holt vorsorglich Pudelmütze und Schal raus. In einer Kolumne prophezeit der Senior: „Die Zeiten werden rechter, kälter.“

Szenarien, in denen Kai Diekmann politische Kampfmissionen exekutiert, sind aber womöglich genauso antiquiert wie die Furcht mancher Konservativen vor dem rot-grünen Chaos. Schröder und Diekmann sind längst in derselben Welt angekommen. So wie der Kanzler seinen Erfolg mehr an Wirtschaftsdaten misst als am SPD-Parteiprogramm, wird auch über Diekmanns Zukunft der Markt entscheiden. Nach Jahren des Auflagenrückgangs will der Verlag endlich Quote sehen.

Vorsichtig bereitet Diekmann sich auf seine neue Aufgabe vor, gibt keine Interviews und ließ gestern unspektakulär per Pressemitteilung sein neues Führungsteam bekannt geben. Hat er bei Bild Erfolg, könnte er in die Führungsebene des Springer-Konzerns aufsteigen. Dem 36-Jährigen wird im Haus nachgesagt, er wolle am liebsten seinen nur ein Jahr älteren Chef Mathias Döpfner beerben. „Der Machtkampf läuft doch schon“, sagt ein Springer-Mann.

Quote statt Ideologie – für Rot-Grün wird es dadurch nicht leichter. Ob die Leser lieber Oden auf den Basta-Kanzler lesen oder Tiraden gegen den Schnellschuss-Schröder, gilt auch unter Experten nicht als ausgemacht. „Die Zeiten der Weltanschauungspresse sind vorbei“, sagt der Medienwissenschaftler Walter Schütz aus Hannover. Eine Nation, die wochenlang die Frage debattiert, wer aus dem „Big Brother“-Container fliegt, ist auch in der Politik vor allem am Effekt interessiert. Merkel hoch, Schröder runter – und morgen wieder umgekehrt, so könnte Diekmanns Rezept lauten. Solange das Tempo stimmt und die Kurven nur steil genug sind, steht das Publikum Schlange vor seiner publizistischen Achterbahn. Schon bei der WamS war Diekmann vor allem auf attraktive Stoffe aus – egal ob es sich um eine Abrechnung aus Kohls oder Lafontaines Feder handelte.

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