normalzeit: HELMUT HÖGE über Rassismus
Die Große Bezirksreform
Über die Zwangsfusion der Bezirke berichtet die bürgerliche Presse, wie auch über Firmenfusionen, nur Gutes. Marzahn und Hellersdorf wurden gar als „fast wie Brüderchen und Schwesterchen“ bezeichnet, und man schrieb, dass sie nun das „größte Neubaugebiet Deutschlands“ seien: doppelt Grund zum Infantil-Jubeln also hätten!
Dass in diesen kinderreichsten Bezirken das Nettohaushaltseinkommen mit 3.150 Mark monatlich deutlich über dem Berliner Durchschnitt liegt, hat uns schon immer gewundert. Nicht jedoch, dass jede blockweise Ansiedlung von Asylbewerbern und Russlanddeutschen dort auf „großes Misstrauen“ stieß. Dazu hatte die Kreuzberger Buchhandlung „Schwarze Risse“ beizeiten den US-Immobilien-Reader „City of Quartz“ übersetzt, der die Beziehung zwischen immobilienwertmindernden Zuzüglern und rassistischen Regionalpolitiken herauspopelte.
Richtig postmodern war außerdem der Versuch in Marzahn gewesen, das neonazistische Plattenbau-Sinnloch mit dem „Gewalttopf“ der ersten Ost-Familienministerin Merkel zu stopfen. Damals wurde dazu von einem flinken West-Sozialarbeiter flugs das autonome Jugendzentrum in Marzahn-Nord requiriert. Die PDS war verbittert. Auch darüber, dass durch die mit Roma und Bosniern zweckentfremdeten Leerstandsblöcke „das Klima bloß noch weiter angeheizt“ wurde. Prompt schoss ein durchgeknallter Neonazi einen PDS-Buchhändler halb tot. Und der Besitzer selbst ertrank auf seinem Segelurlaub in der Ostsee.
Ansonsten gelang es den dortigen, über Baum- und Strauch-Patenschaften zusammengewachsenen Kiezblöcken jedoch, die Lage langsam wieder zu stabilisieren. Wobei dem Vietcong, das heißt den postvietnamesischen Vertragsarbeitern, Pionierfunktion zukam. In null Komma nichts hatten sie es von dubiosen Zigarettenhändlern zu respektablen Asia-Imbiss-Besitzern und Gemüsedealern geschafft – mit einer Markthalle in der Rhinstraße, bei deren Anblick sogar müde Marzahner Mehrwerthecker mit den Augen rollten.
Einmal mehr belegte dies die These, dass selbst hartgesottene PDSler in den Plattenbau-Problembezirken nichts gegen geschäftstüchtige Ausländer haben. Überhaupt schien der Rassismus der dortigen Bewohner bloß der Sorge um ihren Sauberbezirk geschuldet zu sein, nicht „umzukippen“. „Wir können doch nicht alle Problemfälle hier schlucken“, so sagte es ein Bademeister in der Marzahner Schwimmhalle. Und hatte nicht seinerzeit in Kreuzberg sogar die linksalternative Zitty gefragt: „Türken raus – warum nicht?“? Es wurde diesmal jedoch auch kräftig gegengesteuert – mit jeder Menge ABM, Fördermitteln und Fassadenverzierungen.
In Marzahn-Mitte erhob sich bald eine authentisch-holländische Mühle, und im mit Eigen-Aufbauleistungen errichteten Marzahner Volkspark entstand gar eine ganze chinesische Tempelanlage inklusive Teepavillon – von echten Rotchinesen in quasirevolutionärer Handarbeit hochgezogen. Die Bevölkerung war entzückt. „Der Osten hat eine Chance“, frohlockten die Lokalfuzzis sofort.
Aber der bärtige Prenzlauer-Berger (Thierse) blieb böse: Es wird schlimm enden – der Osten schmiert ab. Hei, da war aber was los! Mit Dutzenden von Grafiken und Statistiken bewies die Wirtschaftskamarilla ihm sofort das Gegenteil: „Es geht voran! Tanz den Mussolini! Wetten, Boris Becker macht nicht nur auf dem Tennis-Court, sondern auch vorm Supreme Court eine gute Figur?“ Und ähnlichen Schwachsinn. Im Osten hatte sich der Leimener bisher vor allem als mecklenburgischer Mercedeshändler hervorgetan, dessen Filialen nun in dunkelhäutigen US-Besitz überzugehen drohten.
Während im Norden derzeit dank BSE auch noch den letzten Schlachthöfen und Wurstfabriken die Abwicklung droht, vermeldeten die fusionierten Großbezirke Marzahn und Hellersdorf jedoch nur Vorzügliches: Eine englische Versicherungsgesellschaft, für die das Wort „Plattenbau“ bestenfalls Bauingenieur-Bedeutung besaß, erwarb 3.100 Wohnungen in Hellersdorf. „Ein wahres Weihnachtsgeschenk!“, jubelte die betreffende Wohnungsbaugesellschaft. Aber für wen?
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