: Essen für Leib und Seele
Heinz Wilhelm Timmermann hat seinen Hof 1984 auf Bioland umgestellt. Heute ist er sicher vor BSE und wünscht sich Verbraucher, denen gutes Essen etwas wert ist ■ Von Sandra Wilsdorf
Eigentlich hätte er so weitermachen können. So wie sein Vater, sein Großvater und die Ur-, Ur-, Ur-Großväter davor und einfach ein ganz normaler Landwirt werden können. Konventioneller Landbau bedeutete in jeder der acht Generationen vor ihm etwas anderes, für Heinz Wilhelm Timmermann hätte es geheißen: Hilfe aus dem Medikamentenschrank holen, wenn die Kälber husten, Kartoffeln groß düngen, bevor die Fäule kommt, Möhren mit Unkrautvernichtungsmittel zum Sieg im Wettwachsen gegen die Wildkräuter spritzen. „Aber irgendwie hat mir da etwas gefehlt, das kam mir so kühl vor, so ohne Rücksicht auf die Lebenszusammenhänge“, sagt Heinz Wilhelm Timmermann und hat deshalb den väterlichen Hof in Sülldorf auf naturgemäßen Landbau umgestellt. Nicht weil es so Mode war, sondern weil es ihm richtig vorkam. 1984 hat er mit der Umstellung begonnen.
Damals gab es auf dem Hof noch Milchkühe. „Die Leute, die zum Milchkaufen kamen, haben immer wieder gefragt, ob wir nicht auch ein bisschen Gemüse aus dem Garten hätten.“ So hat er erst das Gemüse umgestellt, dann die Viehwirtschaft und die Hühner. Seit 1992 ist der Hof der Timmermanns ein Bioland-Hof. Ihre und andere Produkte aus kontrolliert-biologischem Anbau verkaufen sie in dem Hofladen, den Timmermanns Frau Agnes betreibt.
Heute leben 24 Rinder auf dem Hof. Sie müssen keine Milch geben und keine Kälber bekommen. Im April kommen sie auf die Sommerweide, im Herbst wieder auf den Hof. Sie können entscheiden, ob sie im Stall oder draußen schlafen, fressen, trinken oder glotzen. Sie müssen sich nur satt fressen am hofeigenen Kleegras, und wenn mal wieder Bedarf besteht, wird eines von ihnen geschlachtet.
Als vor Weihnachten die BSE-Schlagzeilen viele Filet-Esser auf die Idee brachten, in diesem Jahr müsse es mal ein biologisches Rind sein, klingelte 20 bis 30mal pro Tag das Telefon. Und viele der Neukunden wollten nicht einsehen, dass hier der Kunde nicht um jeden Preis König ist. „Bei uns werden die Rinder nicht nur für das Edelfleisch geschlachtet“, sagt Agnes Timmermann. Sondern wenn auch die hausgemachte Mettwurst, das Gulasch und all die anderen Fleischteile verkauft sind. Deshalb werden die Timmermannschen Rinder auch zweieinhalb bis dreieinhalb Jahre alt. Sie fressen zeitlebens nichts als hin und wieder ein paar Gemüseabfälle und Getreideflocken und eben Gras, im Sommer frisch, im Winter getrocknet. Weil auch das natürlich nicht synthetisch gedüngt wird, hat Timmermann geringere Erträge, was das Fleisch teurer macht.
Ähnlich ist es mit dem Gemüse: Ohne synthetischen Dünger, ohne Schädlingsbekämpfungsmittel braucht jedes Gemüse Handarbeit. „Kartoffelkäfer müssen wir beispielsweise absammeln“, sagt Agnes Timmermann.
Die vier 360 Meter langen Möhrenbeete müssen im Sommer mindestens einmal im Monat von Unkraut befreit werden. Sind die Pflanzen noch klein, gibt es straßenfegerähnliche Geräte, die Wildkräuter abreißen, aber die Möhren stehen lassen. Sind die aber erst groß, geht es nur auf Knien und per Hand durchs Feld. Das dauert tagelang. „Aber es geht nicht darum, das Wildkraut zu vernichten, sondern der Kulturpflanze einen Vorsprung zu verschaffen“, sagt Heinz Wilhelm Timmermann. So ist jede Möhre, bevor sie auf dem Teller landet, viele Male höchstpersönlich betrachtet und berührt worden.
Weil der biologisch organische Landbau mehr Personal kostet als konventioneller, machen heute vier Leute die Arbeit, die früher Heinz Wilhelm Timmermann und sein Vater alleine erledigt haben. Im Hofladen arbeiten außer Agnes Timmermann acht weitere Personen, einige Teilzeit. Dazu kommen PraktikantInnen.
Und manchmal ist, bei aller Hingabe, die Natur doch eigensinnig. Einen konventionellen Hof auf Bioland umzustellen, kostet Mut und Geld. „Mindestens zwei Jahre lang muss man schon biologisch wirtschaften, aber noch konventionell vermarkten“, sagt Timmermann. In Hamburg gibt es von der Wirtschaftsbehörde Umstellungsförderung und auch Geld für Beratung. Trotzdem wird in den meisten Fällen Lehrgeld aus eigener Tasche fällig. Das mussten auch die Timmermanns bezahlen: Als einige Hühner eingingen und die verbleibenden kaum noch Eier legten, nachdem ihr gewohntes, antiobiotikahaltiges Futter vom Speiseplan verschwunden war. Erst ein Tierarzt gab dem befreundeten Erpel die Schuld. Wassergeflügel könne Krankheiten übertragen, ohne dass sie bei ihm selbst ausbrechen. Die Antibiotika hatten sie vorher unterdrückt.
Heute sind die knapp 300 Hühner ohne Erpel und fidel. Sie picken draußen unter den jetzt kahlen Apfelbäumen oder drinnen im beheizten Stall, legen ihre Eier brav in Holzkisten mit Dach und fressen nichts als Getreide, Gemüsereste und was sie draußen finden. Gerade war das eine Kröte, an der zu picken sie offenbar erfreut. „Hühner sind Allesfresser“, sagt Timmermann. Und sie sind neugierig: picken auf alles, was blank ist. Auch auf Schnürsenkelösen und Timmermanns Jackenknöpfe. Einmal im Jahr wird die ganze Herde zu Suppenhühnern verarbeitet. Im greisen Alter, wenn man bedenkt, dass ein konventionelles Schlachthuhn schon nach einem Monat ausgelebt hat.
Die Hühner lassen sich auch von der greisen Rauhhaardackelhündin Marle nicht stören. Die weiß zwar noch, dass sie von Natur aus so etwas wie ein Jagdhund ist und interessiert sich entsprechend für die Hühner. Aber ihre elf Hundejahre und der überstandene Autounfall machen sie einfach zu langsam für eine ernst zu nehmende Gefahr.
Bis sie das Zeitliche segnen, leben die Schweine Lilly und Trudi. Seite an Seite machen sie Siesta in ihrem Stall. In der sauberen Ecke. Geschissen wird in die andere. „Schweine sind nämlich saubere Tiere, wenn man sie lässt“, erklärt Agnes Timmermann. Und sie sind gute Spielgefährten für die fünfjährige Leah und die achtjährige Hannah, die beiden Töchter der Timmermanns.
Kartoffeln, Kräuter, Salate, Gurken, Tomaten: insgesamt 30 Sorten Gemüse bauen die Timmermanns inzwischen an, vier Generationen leben auf dem Hof, außerdem zwei alte und ein junger Hund, die Schweine, Hühner, Rinder und ein paar Pensionspferde. „Bioland war für uns auch eine Chance“, sagt Agnes Timmermann. Denn konventionell bewirtschaftet hätte der Hof die Familie nicht mehr ernährt, „dafür ist er viel zu klein.“
Die Timmermanns stecken täglich etwa zwölf Stunden Arbeit in den Hof, Sonntage sind frei, und ab und an ist ein Urlaub drin. Täglich aber ist die Freude, „wenn wir das eigene Gemüse und die eigenen Kartoffeln auf dem Tisch haben“, sagt Timmermann. Von Aldi gibt es nur Katzenfutter, Klopapier, „und manchmal kann ich dem Krabbensalat nicht widerstehen“, sagt Agnes Timmermann.
Wie sie selbst finden auch immer mehr Kunden Geschmack an dem, was sie im Hofladen anbieten. „Seit BSE ist das ein richtiger Boom.“ Für den Biolandwirt hat „die ganze Krise einen Vorteil: Die Leute machen sich Gedanken über ihre Ernährung“. Die Timmermanns könnten jetzt „Haben wir doch immer gesagt“ ausrufen oder den Kollegen Landwirten „selber schuld“ sagen. Aber sie sehen eher, „dass die Bauern doch immer die Leidenden sind“, sagt Heinz Wilhelm Timmermann. Und dass es die Agrarchemie und ihre Lobby sind, die den Landwirten auch dann noch Tiermehl ins Futter gemischt haben, als das längst verboten war. „Die Bauern sind reingeritten worden“, sagt er. Und die Politiker hätten nicht konsequent genug reagiert. Sie hätten zwar 1994 verfügt, dass an Rinder kein Tiermehl verfüttert werden dürfe, aber nicht genügend kontrolliert. Dass Deutschland BSE-frei sei, war für Timmermann schon lange ein Utopie.
Aber er gibt auch den Verbrauchern schuld. Denen egal ist, was sie essen, so lange es billig ist. Deswegen fordert Timmermann auch keinen warmen Subventionsregen, damit alle konventionellen Höfe auf biologisch umstellen, sondern eine Informationskampagne in Richtung Verbraucher. Damit die einsehen, dass biologischer Landbau ein konsequenter Weg ist, sich gesund zu ernähren. Damit die nicht nur aufs Geld, sondern auch auf die Qualität achten. „Denn nur wenn der Markt da ist, stellen die Landwirte um.“
Die Warenwelt der Supermärkte, in der immer alles verfügbar ist, „macht unsere Küche nur scheinbar reicher“, sagt Agnes Timmermann. In Wirklichkeit verarme sie, weil die meisten Menschen gar nicht mehr wüss-ten, wie sie sich heimisches Gemüse zubereiten und wann was an der Reihe sei.
Essen hat für die Timmermanns aber nicht nur mit Vernunft, sondern auch mit Wertschätzung zu tun: „Viele Leute futtern und futtern doch einfach alles so in sich hinein, aber dafür ist das Essen viel zu kostbar.“
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