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In der Badewanne gen Bürgerpark

■ Heinrich Hannover, Bremens berühmter Rechtsanwalt, schreibt auch Kinderbücher. Darin schlummern Polizisten, telefonieren Mücken und der Mond ist meistens müde

Was macht die Feuerwehr, und wie sperren Polizisten Straßen ab? Wie arbeitet ein Schaffner, und wo sitzt im Flugzeug der Pilot? Das alles sind sehr wichtige Fragen, aber – Hand aufs Herz – so richtig prickelnd sind sie für die Eltern nicht, schon gar nicht, wenn man dem Filius oder dem Töchterchen zum circa zweihundertdreiundzwanzigsten Mal die gleichen Sätze vorgelesen hat.

Hätten Sie aber gewusst, dass sich der Förster den Bart von dem besonders puscheligen Schwanz des Hasen Puschelschwanz einseifen lässt? Und dass der Mond so komische Flecken hat, weil er mal aus dem Hochbett von Almut und Bettina gefallen ist, und seitdem ein paar Narben und Pflaster hat?

Almut und Bettina, so heißen zwei der Kinder von Heinrich Hannover, taz-Lesern eher als streitbarer Anwalt von Ulrike Meinhof, Peter-Jürgen Boock und anderen bekannt, die er mit dem Engagement eines in alle Richtungen kritischen Anwalts verteidigte. Und was macht so ein Anwalt am Feierabend? „Viele Kollegen haben gar keinen Feierabend gemacht, die saßen bis tief in die Nacht über ihren Akten.“ Nicht so Heinrich Hannover. „Ich habe das Familienleben immer sehr genossen.“ Familienleben bedeutete unter anderem, sechs Kinder, das erste wurde 1954 geboren, ins Bett zu bringen. Eines der Kinder starb siebenjährig an Leukämie. Er brachte sie ins Bett, indem er Geschichten erzählte, Geschichten, zu denen seine Kinder ihn anregten: Der Mond soll vorkommen, mein neues Bett, ein Polizist ...

Später hat er dann alles aufgeschrieben: „Der müde Polizist“, Titelgeschichte eines von vielen Hannover-Büchern, die man dank einer zauberischen und kindlichen Einfachheit schon den dreijährigen vorlesen kann, handelt von einem Verkehrspolizisten, der von dem ganzen Gefuchtel auf der Parkbank einschläft und auf dem Nachhauseweg nur denkt: „Hoffentlich hat das der Polizeipräsident nicht gesehen.“ Das Buch hat Heinrich Hannover übrigens Ulrike Meinhof in den Knast mitgebracht. Sie soll „Alle Macht dem Volke“ reingeschrieben und es ihren Kindern geschenkt haben.

Schlafende Polizisten, ein Rechtsanwalt „Aktenstaub“, dem nach Feierabend die Mücke Pieks die Kanzlei in Unordnung bringt – andere Hinweise auf das Tagesgeschäft des „linken“ Anwalts findet man nicht. Dafür aber jede Menge Hinweise auf die Heimatstadt der Familie Hannover: Lies und Len, steigen, nachdem sie ihr Hochbett geschrottet haben, in die Badewanne, bis sie einschlafen und aus dem Haus herausgespült werden: „Sie schwammen durch die Schaffen-rathstraße und durch die Wyckstraße und die Thomas-Mann-Straße, und als die Badewanne auf dem Schwachhauser Ring in Richtung Bürgerpark schwamm, kamen da plötzlich Lies' und Lens Vater und Mutter von der Straßenbahn her die Straße entlang.“

Wie es sich für die Welt ganz kleiner Kinder gehört, gehen die Geschichten gut aus, das haben sie mit den meisten Grimm-Märchen gemeinsam. „Aber die brutalen Stellen aus diesen Märchen kann man doch so kleinen Kindern nicht vorlesen“, findet Hannover, der sich dann jedesmal schnell einen anderen Text ausgedacht hat.

Und da ist er eben dazu übergegangen, gleich die ganzen Geschichten selbst zu erfinden. Herrlich unpädagogisch, in einfacher Sprache, mit kleinen Witzchen, die es auch den vorlesenden Erwachsenen nicht so schnell langweilig werden lassen, berichten die Geschichten auf zwei bis fünf Seiten von dem, was die Kleinen so den lieben langen Tag beschäftigt. Zum Beispiel das: „Was macht der Weihnachtsmann im Januar?“

„Ganz tief im Wald hat er sein Haus, ein Knusperhaus mit Dachziegeln aus Lebkuchen, Fensterläden aus Schokolade, einer Fernsehantenne aus Lutschstangen und einem Schornstein aus Baumkuchen, aus dem eine Rauchwolke aus Zuckerwatte kommt. Und da schläft er erst mal ein paar Tage und Nächte richtig aus.“ Dann geht er zum Zahnarzt (weil er natürlich von dem ganzen Schleckerkram schlechte Zähne hat), dann kommt der Friseur („Denn einmal im Jahr muss er sich doch die Haare und den Bart schneiden lassen“), dann geht er zum Schuster (wegen der abgelaufenen Stiefeln natürlich). "Am Donnerstag und am Freitag und am Samstag hat der Weihnachtsmann auch noch was zu besorgen. Vielleicht fällt euch ja ein, was er am Donnerstag und am Freitag und am Samstag gemacht hat“ – schließlich ist es dem Autor Hannover immer noch am liebsten, wenn die Kinder (und ihre Eltern) selbst erzählen.

Im Nachwort des 1972 erschienenen „Das Pferd Huppdiwupp“ klingt das so: „Wir sind uns im Ziel einig, Menschen zu erziehen, die ihre Position in dieser Klassengesellschaft kritisch reflektieren und eines Tages dafür gerüstet sind, an ihrer Überwindung mitzuarbeiten.“ Aber von einer link(sradikal)en Holzhammerpädagogik sind die Geschichten so weit entfernt wie von der Hochachtung für Autoritäten. Emanzipatorisch seien seine Geschichten allein deshalb, „weil sie die Kinder an der gedanklichen und sprachlichen Produktion von Geschichten teilnehmen lassen.“

Was Heinrich Hannover 1972 noch klassenspezifisch verortet – Arbeiterkinder werden daheim sprachlich zu kurz gehalten und schon in der Schule tritt ihnen „die Sprache der Lehrer als etwas Fremdes entgegen“ – so ist davon im Nachwort zum 1997 neu erschienenen „müden Polizisten“ noch eine allgemeine Klage gegen die Mediengesellschaft übrig: „Es gibt kein besseres Vorbeugungsmittel gegen die Sprachlosigkeit von Fernsehkindern als Bücher. Vorausgesetzt, dass es Eltern gibt, die die Mühe des Vorlesens, des Erzählens und des gemeinsamen Erfindens von Geschichten nicht scheuen.“

Aber es wäre kein Buch von Heinrich Hannover, wenn nicht noch eine andere, kindsgerechte Verarbeitung des bierernsten Themas zu haben wäre: Im Herr-Glotzmann-Gedicht wird das beste Stück geklaut:

„Darf ich“, spricht Glotzmann,„bitte schönDen Krimi noch zu Ende sehn?“Doch herzlos war das DiebespackUnd steckt die Glotze in den Sack.Allein blieb Glotzmann nun zurück,Verloren war sein bestes Stück,Saß noch im frühen MorgenrotIn seinem Sessel und war tot.Und die Moral von der Geschicht?Verlieb dich in die Glotze nicht.

Zuletzt erschien von Heinrich Hannover „Die untreue Maulwürfin“, Aufbau-Verlag.

Elke Heyduck

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