piwik no script img

Das Gebot der Wahrheit

Die sieben Todsünden des Schreibens – gewidmet dem unverlangt einsendenden Autor

Du aber, Autor, der du Texte unverlangt einsendest, höre! Und höre dem Gerechten gut zu! Denn es gibt derer sieben Todsünden, die den Verlust des Gnadenstandes nach sich ziehen. Und wisse, die Todsünde hat drei Merkmale: Du versündigst dich in einer wichtigen Angelegenheit, dem Schreiben für die Wahrheit; du bist dir der Sündenhaftigkeit deines falschen Schreibens bewusst; und du willigst voll ein in dein sündiges Schreiben. Deshalb, unverlangter Autor, tue Buße und erkenne die sieben Todsünden, wie sie dir in mahnenden Worten aufgezeigt werden. Du sollst nicht schreiben über dieses und jenes:

I. Kinder

Die Wahrheit soll eine Seite sein, die da ist für jeden Menschen. Für niemanden darf sie zu hoch und für niemanden zu einfach erscheinen. Wenn du dies ernsthaft erkennen konntest, bist du ein Kind der Komik, und Humor wohnt in dir. Lass aber kein Kind in deinen Texten wohnen. Denn Kinder berühren dich und verwirren deinen Geist, wenn du sie betrachtest. Sei selbst das Kind und gewinne die Distanz zurück, die Komik braucht, um zu sein.

II. Friseure

Es gibt viele niedere Gewerke. Und deren eines ist das der Friseure und Barbiere. Es kann dort die Gegenwart des Geistes nicht vorhanden sein. Erhebe dich nicht über jene, die sich allein mit dem Äußeren des Kopfes befassen. Ihre Späße sind nur Späße in ihren schlichten Räumen.

III. Handwerker

Der Humorist ist ganz anders als der Handwerker. Seit Urväterzeiten ist der Handwerker ein miserabler und lauter Gesell. Alles ist über ihn geschrieben, und so machst du dich gemein mit ihm. Also wisse: Kein Handwerker irgendeines Handwerks soll mehr in dir gefunden werden.

IV. Supermärkte

Allein gelassen mit deinen Gedanken und deiner Wortarbeit siehst du deine Verlassenheit erst, wenn du die Stille deiner Klause verlässt und körperliche Nahrung suchst. Im Supermarkt ist es laut und buntfarben. Dort werken einfache Menschen. Ein Zusammenstoß mit ihnen mag dir am Ort selbst ein Spaß sein. Später ist der Spaß vergangen.

V. Kollegen

Oft treibt es dich nicht in die Welt. Doch liest du meist von ihr. Und von Kollegen, deren Einsamkeit ähnlich groß ist. Wenn du aber reist, dich vergnügst und eben sie triffst, schreibe nicht über ihre Erscheinung, ihr Verhalten und ihre Trunksucht am Wirtstisch. Niemand mag von eurer Freude und eurem Zwist ein Wort wissen. Eure Namen sollen sich allein unter euren Texten auszeichnen, nicht darin.

VI. Fernseh

Ein Hort der Entspannung ist das Fernseh. Das wirkliche Leben ist es nicht. Greife kein Ereignis aus dem Fernseh auf und siehe darin einen Anlass zu schreiben über das Ereignis selbst und deine Erfahrungen damit. Erlebe es selbst und gehe hinaus auf den Marktplatz, in ein Wirtshaus oder an einen fremden Ort. Kenne das Fremde. Das Fremde aber ist nicht das Fernseh. Es ist das Naheliegende. Das Naheliegende jedoch ist nie komisch.

VII. Internet

Glaubst du, das Internet böte Komisches aus der Welt? Dann glaubst du an das Falsche. Denn die Neuigkeiten werden nicht komischer durch den Weg, auf dem sie dich ereilen. Es wohnt längst in dir, wenn du es noch suchst. Finde das Komische in dir selbst und deinen Worten.

Siehe, wenn du diese Gebote befolgst, erlangst du den Zustand der Gnade und wirst in einer nicht fernen Zeit zum verlangt einsendenden Autor. Und siehe auch, Autor, dass diese Gebote nur für dich gelten und nicht für andere, die längst für die Wahrheit schreiben. Denn das hat der Gerechte in seiner unendlichen Weisheit für immer entschieden. In Ewigkeit. Amen.MICHAEL „MOSES“ RINGEL

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen