: Umweltschutz bald freiwillig
Weil die Mitgliedsstaaten die Umsetzung von Umweltrichtlinien wenig ernst nehmen, will EU-Kommissarin Margot Wallström stärker auf sanften Druck statt auf Zwang setzen
BRÜSSEL taz ■ Die Homepage von Umweltkommissarin Margot Wallström ist so fröhlich und zukunftsgewandt, so mädchenhaft und zuversichtlich wie die Kommissarin selbst: Da reckt ein knorriger Baum seine mächtigen Zweige in die autofreie Landschaft. Im Schatten des grünen Blätterdachs sitzt ein einsamer Homo sapiens und grübelt. Glaubt man den Erfolgsmeldungen der schwedischen Kommissarin, sieht Europas Kulturlandschaft bald wieder so aus wie das Foto auf ihrer Homepage.
Jüngstes Beispiel Brüsseler Politlyrik ist das sechste Umweltaktionsprogramm mit dem Titel „Umwelt 2010: Unsere Zukunft liegt in unserer Hand“. Die Kommissarin kommentiert die umweltpolitischen Leitlinien für die kommenden Jahre so: „Die Umweltpolitik ist eine der Erfolgsgeschichten der Gemeinschaft. So konnte beispielsweise die Qualität unserer Luft und unserer Flüsse dank der Rechtsvorschriften der EU bereits deutlich verbessert werden.“
Die jüngsten Untersuchungen stützen diese kühne These nicht. Der CO2-Ausstoß steigt in Europa wieder an. Die Nitratbelastung in den großen Flüssen ist nach Erkenntnissen des Europaparlaments seit 1980 unverändert hoch – nur Dänemark und Schweden haben die Nitrat-Richtlinie der EU-Kommission umgesetzt und gesetzliche Vorschriften gegen Überdüngung erlassen. Alle anderen Mitgliedsstaaten sind wegen fehlender nationaler Gesetzgebung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg angeklagt.
In anderen Umweltbereichen sieht es nicht besser aus. Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie zum Beispiel, die erreichen soll, dass alle Mitgliedsstaaten gemeinsam ein zusammenhängendes Naturschutzgebiet ausweisen, sorgt für Dauerstreit zwischen Kommission und Mitgliedern. Gegen Frankreich, Irland, Griechenland und Deutschland sind bereits Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Wallström drohte jüngst, die Strukturförderung zu blockieren.
In der Rangliste der schwarzen Schafe hält Deutschland hinter Frankreich, Italien und Griechenland den vierten Platz bei den anhängigen Vertragsverletzungsverfahren. Bis zum Maastrichter Vertrag machte eine Verurteilung durch den EuGH aber wenig Eindruck. Viele Mitgliedsstaaten ignorierten einfach den Richterspruch. Deutschland zum Beispiel hätte schon 1985 das Verfahren zur Umweltverträglichkeitsprüfung der EU-Richtlinie anpassen müssen. Im Oktober 1998 wurde die Bundesregierung verurteilt, weil sie nur für 25 Anlagetypen eine derartige Prüfung vorschrieb. Bis heute ist das Gesetz nicht den EU-Regeln angepasst.
Nun wird die Kommission ein zweites Mal klagen und ein Bußgeld durchzusetzen versuchen. 237.000 Euro täglich soll Deutschland so lange bezahlen, bis ein Gesetz in Kraft ist, das Umweltverträglichkeitsprüfungen für alle größeren Bauvorhaben vorschreibt – auch für Straßen und Bahntrassen. Experten rechnen aber damit, dass das Gesetzgebungsverfahren nicht vor Jahresende zum Abschluss kommt. Es wäre erst das zweite Mal, dass ein Mitgliedsstaat wegen Vertragsverletzung tatsächlich zur Kasse gebeten würde. Kürzlich musste Griechenland nach einem acht Jahre dauernden Streit mit der Kommission ein Zwangsgeld bezahlen.
Die britische Europaabgeordnete und Umweltexpertin Caroline Jackson hat jüngst die schizophrene Haltung der Mitgliedsländer als Etikettenschwindel kritisiert: In Brüssel würden sie „grüne Politik“ gemeinsam beschließen und entsprechende Richtlinien einstimmig verabschieden. Zu Hause aber dächten sie gar nicht daran, die eigenen Beschlüsse in nationales Recht umzusetzen. Angesichts dieser nationalen Blockadehaltung zeigt die EU-Kommission Zeichen von Resignation. Statt die jetzt möglichen Bußgelder häufiger und konsequenter einzufordern, setzt sie künftig auf sanfte Methoden: Selbstverpflichtung der Industrie, eine Bestenliste für vorbildliche Länder im Internet, ein Pranger für Umweltsünder – Maßnahmen, die Wallström im neuen Umweltaktionsprogramm für die kommenden Jahre ankündigt.
Auch Industriekommissar Erkki Liikanen will künftig mehr auf Konsens als auf Konflikt setzen: Morgen will er mit Vertretern der Autoindustrie darüber beraten, wie die mörderischen „Kuhfänger“ von den Straßen verschwinden könnten. Die Kommission sei überfordert, wenn sie die technischen Details einer Richtlinie ausarbeiten müsste, die solche Mordwerkzeuge verbietet. Außerdem seien die Chromungeheuer wahrscheinlich längst aus der Mode, bevor die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt sei.
Tatsächlich fehlen der Kommission die Experten und die Ausstattung, um mit der rasanten technologischen Entwicklung in der Industrie Schritt zu halten. Die vorhandenen Kapazitäten werden aufgebraucht, um die Binnenmarktregeln zu überwachen. Nur die Finanzminister könnten dafür sorgen, dass Brüssels Gesetzeshüter mehr Macht bekommen. Für die Mitgliedsstaaten aber ist eine zahnlose Kommission bequemer – und billiger. DANIELA WEINGÄRTNER
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