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Lachen verboten: Miguel Rothschild hat für seine Arbeit „Killer Tränen“ den Karl-Hofer-Preis 2000 bekommen

Seine erste Liebe galt einem Akt, die Treppe herabsteigend. Manche denken dabei an das gleichnamige Bild von Marcel Duchamp, aber der junge Kunststudent Miguel Rothschild aus Argentinien verliebte sich in eine Kommilitonin, die nackt die Treppe in der Hochschule der Künste herunterkam. Das zumindest sieht man in den dreißig Einstellungen, die Rothschild unter dem Zwischentitel „Erste Liebe“ in ein Daumenkino gebunden hat.

In 73 dieser kleinen Bände entwickelt er die tragische Story „Killer Tränen“, für die er am Donnerstagabend den Karl-Hofer-Preis 2000 verliehen bekam. Der wird seit 1978 jährlich unter einem Motto ausgelobt. „Lachen verboten“ dachte sich die Jury als Thema für das Jahr 2000 aus. Trotzdem haben sich 106 Künstler beteiligt. Das Künstlerleben muss hart sein.

Für die Jury war, wie Britta Schmitz, Kunsthistorikerin der Neuen Nationalgalerie, in ihrer Laudatio erzählte, ziemlich bald klar: Miguel Rothschild war ihr Mann. „Killer Tränen“ besticht durch das Spiel mit den Klischees vom Künstlerleben: Wie er erst durch Leiden zu seiner Bestimmung findet. Wie er entdeckt wird, als er ganz unten ist und seine Werke schon auf dem Müll entsorgt („Es ist beeindruckend, wie stark Ihre Bilder den Tod der Malerei widerspiegeln“, hatte der Galerist zu den Bildern gesagt, die vom ungebremsten Strom der Tränen durchlöchert sind). Wie langweilig der Erfolg in Galerien wird, die in Paris, Tokio und New York alle gleich aussehen. Ein Jahr lang hat Rothschild mit Freunden und Verwandten an den Szenen gearbeitet. Man kann dieses Daumenkino in Deutsch, Englisch und Spanisch erwerben.

Das Malen ist die eine Sache, die Inszenierung des Künstlerlebens die andere. Das hat schon Duchamp entdeckt und darin erweist sich Rothschild doch als sein heimlicher Schüler. Die Erwartungen, die sein Name erzeugt, unterläuft er durch permanentes Understatement. Je abgenutzter Träume sind, desto mehr weiß er mit ihnen anzufangen.

So detektivisch genau, wie er das Raunen im Kunstbetrieb analysiert hat, arbeitet Rothschild auch an einem zweiten Thema. Er sammelt, was vom Paradies übrig blieb, und die Sammlung wächst ständig. Mit Paradies-Pudding-Creme, Paradiso-Apfelsaft, mit Paradise-LPs und -CDs legt er viel versprechende Vorräte an.

Neben diesen Anzeichnen für die Hoffnung auf Besseres hat er sich auch um die Loser der Geschichte gekümmert und zur Linderung ihrer Schmerzen jede Menge Heftpflaster organisiert. Er kopierte Bilder von Adam und Eva und vom heiligen Sebastian auf dem Verbandsmaterial. Man sieht, seine Beschäftigung mit dem Märtyrertum hat Tradition.

KATRIN BETTINA MÜLLER

„Killer Tränen“, Galerie im Medienhaus der HdK, Grunewaldstr. 2–5, Berlin-Schöneberg, Mo–Sa 10–19 Uhr, bis 17. Februar.

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