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Mit fatalistischer Vehemenz

Kinderfilme stimmen Zensoren milde – weshalb im Iran extrem viele produziert werden. Aber auch in anderen Genres wird mehr Offenheit gewagt. Gute Beispiele zeigen Forum und Kinderfilmfest

von THOMAS WINKLER

Es gibt einen kleinen, mittlerweile aber schon sehr verfestigten Mythos über das iranische Kino: Im fundamentalistischen Gottesstaat würden fast nur Kinderfilme gedreht. Dem ist nicht so, aber immerhin ungefähr zehn Prozent der 60 bis 70 Filme, die jährlich im Iran produziert werden, sind für ein jugendliches Publikum bestimmt. So beliebt ist der Kinderfilm bei iranischen Regisseuren, so der zweite Teil des Mythos, weil man mit ihm die Zensoren milder stimmen kann.

Dem mag so sein, aber auch in den anderen Genres deutet sich in jüngster Zeit eine größere Offenheit an. So ist der Forum-Beitrag „Booye Kafoor, Atre Yas – Der Geruch des Kampfers, der Duft von Jasmin“ der erste Film von Bahman Farmanara seit 21 Jahren. Der 58-Jährige, der in den Sechzigerjahren in den USA studierte, gehörte in den Siebzigerjahren zu den wichtigsten Regisseuren und Filmfunktionären des Landes, bevor er 1980, ein Jahr nach der islamischen Revolution, nach Nordamerika ging und dort im Verleihgeschäft tätig wurde. Auch als er schließlich wieder in seine Heimat zurückkehrte, durfte er nicht als Regisseur arbeiten. Er leitete die Textilfabrik seiner Familie.

Das Drehbuch für „Der Geruch des Kampfers“ hat Bahman Farmanara, erzählt er vor der Vorführung, zehnmal eingereicht und es wurde zehnmal nach jeweils einer Bedenkzeit von acht Monaten von den Zensoren abgelehnt. Die elfte Fassung schließlich wurde innerhalb von nur 20 Tagen genehmigt.

Kein Wunder, dass sich die Zensoren so viel Zeit ließen: Zwar ist die Geschichte des alternden Regisseurs, der weniger getrieben vom Leben als von der Angst vor dem Tod eher planlos durch die neuen Zeiten driftet, vor allem Farmanaras eigene Geschichte, und konsequenterweise spielt er sich auch selbst. Aber auch diese Fassung des Films ist immer noch gespickt mit Anspielungen und Kommentaren zu Tagespolitik, Zeitgeschichte und sozialen Zuständen. Vom Ehemann geprügelte Frauen stehen mit ihrem tot geborenen Baby am Straßenrand, im Leichenschauhaus liegen 15-jährige Selbstmörderinnen neben Vertretern des Schah-Regimes, und ausgerechnet ein Rechtsanwalt empfiehlt, erst gar nicht die Justiz einzuschalten, das gebe „meistens eh nur unnötigen Ärger“.

Die Bilder sind meist recht ereignislos. Der gedrungene, schwitzende, dauerrauchende Farmanara tapert mit traurigem Gesicht durch ein gesichtsloses Teheran. Was passiert, passiert in den Dialogen. „In diesem Land sind keine Nachrichten immer schlechte Nachrichten“, sagt der Regisseur. In Nebensätzen wird angedeutet, dass auch heute noch Menschen einfach so verschwinden. Als im Fernsehen eine Rede von Staatschef Chatami läuft, in der er anmahnt, dass sich die Religion nicht gegen die Freiheit stellen darf, schläft Farmanara auf dem Sofa ein.

Ganz anders, mit sparsamer Sprache, aber wundervollen Bildern, arbeitet der iranische Beitrag zum Kinderfilmfest,„Zamani Baraye Masti Asbha – Zeit der trunkenen Pferde“, der erste iranische Film eines kurdischen Regisseurs. Bahman Ghobadi gewann in Cannes bereits die Goldene Kamera für den besten Debüt-Film.

Der Auftritt in Cannes ist wohl auch der Hauptgrund, warum „Zeit der trunkenen Pferde“ nicht in einer anderen Sektion, womöglich gar im Wettbewerb läuft (es muss sich hier um zumindest Europa-Premieren handeln). Denn die Geschichte von fünf verwaisten kurdischen Geschwistern im iranisch-irakischen Grenzgebiet, die sich mit Schmuggel über die verschneiten Berge durchschlagen müssen, ist sicher nicht für kleinere Kinder geeignet.

Ghobadi hat mit Laien gedreht, er ist selbst in dem Dorf aufgewachsen, in dem der Film spielt. Nicht nur deswegen haftet seinem Film bei aller strengen dramatischen Komposition etwas Dokumentarisches an, das die Authentizität bisweilen bis an die Grenze des Erträglichen treibt. In eindringlichen Bildern wird die Leidensgeschichte der Waisen erzählt.

Immer wieder weilt die Kamera auf den unendlich traurigen Augen, in denen sich die unwirtliche Natur ebenso spiegelt wie die eigene, ausweglose Situation. Es gibt nicht wirklich Hoffnung, dass der behinderte Bruder noch operiert werden könnte, es gibt nicht wirklich Hoffnung auf Bildung, auf Besserung der Lebensumstände, aber trotzdem stemmt sich der Rest der Kinder mit einer seltsam fatalistischen Vehemenz gegen das Unausweichliche. Vielleicht gibt es ja doch Hoffnung. Eine kleine zumindest, und wenn nur deshalb, weil man unbedingt an sie glauben möchte, an sie glauben muss.

„Booye Kafoor, Atre Yas – Der Geruch des Kampfers, der Duft von Jasmin“. Regie: Bahman Farmanara, Iran, 93 Min. „Zamani Baraye Masti Asbha – Zeit der trunkenen Pferde“. Regie: Bahman Ghobadi, Iran, 80 Min.

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