: „Und jetzt auch noch Bush!“
Lili Taylor ist die Starschauspielerin der amerikanischen Independentszene. Die New Yorkerin, auf der Berlinale in „Julie Johnson“ zu sehen, über die amerikanische Independentszene, Julia Roberts und das digitale Drehen
Interview KATJA NICODEMUS
Lili Taylor spielt am liebsten Underdogs, die sich nicht kleinkriegen lassen. In Deutschland wurde sie vor allem durch Emir Kusturicas Film „Arizona Dream“ bekannt, wo sie die exzentrische Tochter von Faye Dunaway spielt. Sie war in „Short Cuts“ und „Prêt-à-porter“ von Robert Altman zu sehen und wurde für ihre energische Darstellung der Andy-Warhol-Attentäterin Valerie Solanas in Mary Harrons „I shot Andy Warhol“ von der amerikanischen und europäischen Kritik gefeiert. Seit kurzem läuft mit „Things I never told you“ einer ihrer schönsten Filme in Berlin im Kino. In Bob Gosses Berlinale-Beitrag „Julie Johnson“ spielt Lili Taylor eine unterdrückte Hausfrau, die sich von ihrem Mann trennt, eine Liebesaffäre mit ihrer Nachbarin (Courtney Love) beginnt und sich zum Computergenie mausert.
taz: In „Julie Johnson“ spielen Sie wieder einmal einen weiblichen Underdog, der etwas aus sich machen will. Sehen Sie die lesbische Affäre der verhuschten Hausfrau Julie als Coming-out-Geschichte oder eher als einen von vielen emanzipatorischen Schritten?
Lili Taylor: Ich glaube, es hätte auch eine richtige große Lovestory zwischen mir und Courtney Loves Figur geben können. Vielleicht ist es für beide nur der falsche Zeitpunkt. Ich glaube, Frauenfreundschaften entwickeln sich häufig in Richtung einer echten Liebe, die eben meistens auf der platonischer Ebene bleibt. Das ging mir auch mit eigenen Freundinnen so. Die Freundschaft wirkt dann wie ein Tabu, das das Physische untersagt.
Einmal stehen Sie und Courtney Love nebeneinander im Supermarkt. Obwohl Sie sich nicht ansehen, wird allein durch die Körperhaltung klar, dass zwischen Ihnen was läuft. Wie entsteht so was?
Im Grunde waren wir wie Kinder, die miteinander gespielt haben. Courtney ist eine sehr instinktive Schauspielerin. Sie geht auf die Rolle los und begreift sie in ihrer ganzen Körperlichkeit. Deshalb haben auch die Liebesszenen zwischen uns funktioniert.
Ihr extremster Underdog war wahrscheinlich die Rolle der radikal feministischen Warhol-Attentäterin Valerie Solanas in Marry Harrons „I shot Andy Warhol“.
Wenn ich alle meine Rollen als Kinder betrachte, dann ist Valerie wahrscheinlich das Kind, das am meisten Zuwendung gebraucht hat und mit dem ich am meisten spielen musste. Sie war so unglaublich kompliziert. Noch elf Stunden vor Drehbeginn dachte ich, dass ich diese Mischung aus Aggression und Verletzlichkeit, einem klaren Geist und einer verkrüppelten Psyche nicht hinbekomme. Wirklich geholfen hat mir dann aber ihr Humor.
In ihrem Leinwanddebüt, der Provinzkomödie „Mystic Pizza“, spielten Sie an der Seite von Julia Roberts eine Pizzakellnerin. Im Lauf der Jahre wurden Sie zur wichtigsten amerikanischen Independentschauspielerin und Julia Roberts zu Hollywoods bestbezahltem weiblichen Mainstreamstar. Haben Sie noch Kontakt?
Wenn wir uns treffen, reden wir tatsächlich häufiger über diesen diametral entgegengesetzten Verlauf unserer Karrieren. Aber es ist nicht so, dass ich mich ihr in irgendeiner Weise überlegen fühle, weil ich manchmal „anspruchsvollere“ Filme drehe. Genauso wenig habe ich Komplexe, weil sie ein Superstar ist. Ich bewundere sie, weil man für dieses Level von Berühmtheit ein unglaublich starkes Selbstbewusstsein braucht. Ich finde, sie hat diese Celebrity sehr gut verkraftet, obwohl sie sich manchmal wie darin gefangen fühlt.
Sie arbeiten nun ziemlich lange in der amerikanischen Independentszene, die in den letzten Jahren unter erheblichen finanziellen Einbrüchen zu leiden hatte. Gleichzeitig haben sich die Grenzen zwischen Independent- und Mainstreamszene im Produktionsbereich verwischt. Wie haben Sie diese Entwicklung mitbekommen?
Ich empfinde es als ziemlich anstrengend, in einem System zu arbeiten, das sich ständig verändert. Ich habe das Gefühl, dass in der amerikanischen Filmkultur in den letzten vier Jahren irgendetwas abgestorben ist. Eigentlich hätte ich gerne immer so weitergearbeitet, in meiner schönen kleinen Independentnische: Keine blöden Mainstreamjobs, sondern einfach die Sachen, die ich mag.
Spielen Sie inzwischen auch Sachen, die Sie nicht mögen?
Ich bekomme genügend Angebote und will mich auch nicht beklagen. Aber es geht ja nicht nur um mich. Das amerikanische Wirtschaftssystem ist ein völlig anderes geworden, alle reden nur noch von Globalisierung, was natürlich wiederum bedeutet, dass eine bestimmte Art von Film nicht mehr gedreht wird. Filme, die sich zum Beispiel in die amerikanische Provinz wagen, die bewusst klein und regional erzählt sind. In den Nachrichten geht es nur noch darum, wie unglaublich wichtig die WTO und die New Yorker Börse sind. Und jetzt auch noch Bush!
Glauben Sie, die kleinen biligen digitalen Kameras könnte der amerikanischen Underground und Independentszene neue Impulse geben?
In künstlerischer Hinsicht ganz bestimmt, ich würde sofort in einem amerikanischen Dogmafilm mitspielen. Nur müssen auch diese billig produzierten Filme irgendwie ins Kino kommen. Eine Anzeige in der New York Times kostet zum Beispiel mindestens 60.000 Dollar. Vielleicht muss man einfach komplett umdenken und sollte diese Filme nur im Internet zeigen – oder wo auch immer. Die große Herausforderung für die amerikanische Independentszene der nächsten Jahre besteht, glaube ich, darin, neue und billige Wege zum Publikum zu finden.
Sie spielen inzwischen auch in großen Mainstreamproduktionen wie zum Beispiel „Payback“ mit Mel Gibson. Gibt es etwas, was Sie nicht spielen würden?
Ich würde nicht in einem Film mitmachen, der reaktionäre oder rechte Inhalte vermittelt. Und bisher bin ich noch nie in eine Lage gekommen, in der ich mir diese Integrität nicht mehr leisten konnte.
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