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ejectARNO FRANK über das „süüüüüüüüßeste“ Format im deutschen Fernsehen

Antizyklisch denken lernen mit der taz: „Girlscamp“ ist einzigartig!

Sat.1 ist ein Sender von exquisitem Geschmack, ausgesuchtem Humor und breiten Schultern. Wir sprechen nicht von „Wer heiratet den Millionär“ – hat sich versendet, Schwamm drüber, Kopf hoch! Sprechen wir lieber von „Girlscamp“.

Versprochen wurden uns sexuell befreite Nymphen, geboten wurde uns eine Schabracken- oder, mit Stefan Raab, eine „Bratzenbaracke“ – die Kränkung männlicher Geilheit schlug sich nicht nur in wütender Kritik, sondern auch in den Einschaltquoten nieder. Auf dem neuen Sendeplatz am Rande des TV-Universums (0.15 Uhr) schaltet niemand ein, schaltet niemand Anzeigen – und Sat.1 leistet sich damit ein exklusives Format von geradezu öffentlich-rechtlichem Zuschnitt.

Der verbliebene Moderator Kena Amoa bringt’s auf den Punkt: „Denkt dran: Alles, was die Mädels da drin machen, machen sie, um euch zu gefallen!“ Im Internet gibt es Seiten, wo für einen solchen Service bezahlt werden muss.

Da werden, zur späteren Zubereitung durch den „Boy Of The Week“, lebende Hummer im Plastikeimer angeliefert. Die Görls begrüßen die traurigen Tiere mit einem vielkehlig gellenden „süüüüß!“. Dann kitzeln sie, „killekille“, das moribunde Krustentier. Und weinen anschließend, weil die Viecher ja in den Kochtopf wandern. Dafür schickt der Sender Sergio ins Lager, der „alles abdeckt, was ein Mann so können muss: Kochen, Sport, Erzählen, Liebe machen“. Als er zur Tat schreiten will, schlägt ihm die geballte Verachtung der tierlieben Görls entgegen – authentisches Grauen empfindet, wer sich in seine Lage versetzen kann. „Real Life“, das „wahre Leben“ also, spiegelt sich auch in Dialogen von bestechender Präzision: „Da geht sie an mir vorbei, und ich so: Äh, Sabine. Und sie so: Hä? Und ich so: Okay!“ – „Versteh’ ich nicht!“

Wir auch nicht. Weil’s nichts zu verstehen gibt. Nur zu sehen: Tief hinein in den Abgrund der Alltäglichkeiten. Und zu riechen: „Nadja hat gepu-hupst!“. Und endlich, endlich zu verstehen: „Girlscamp“ ist das Puzzlestück, das dem Fernsehen bei der Abbildung der Wirklichkeit noch gefehlt hat. Dass uns diese Wirklichkeit gestohlen bleiben kann, konnte „Sat.1 – ja!“ nun wirklich nicht wissen.

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