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Französische Regierung lässt Boatpeople frei

Nach zahlreichen Protesten können die gestrandeten kurdischen Flüchtlinge das Lager verlassen und an einem Ort ihrer Wahl Asyl beantragen

PARIS taz ■ „Passierschein für acht Tage“ steht auf dem Dokument, das französische Beamte in der Nacht zu Mittwoch an 900 kurdische Flüchtlinge austeilten. Für die Boatpeople bedeutet das „Freiheit“: Nach vier Tagen hinter Stacheldraht und unter strenger Bewachung dürfen sie erstmals die Kaserne von Fréjus verlassen und an einem Ort ihrer Wahl in Frankreich einen Asylantrag stellen. In den Folgemonaten, bis zum endgültigen Entscheid über ihren Antrag, genießen sie Aufenthaltsrecht. So hat es die Regierung in Paris am Dienstagabend entschieden.

Mit der Auflösung des „Wartelagers“ in der Kaserne von Fréjus versucht die rot-rosa-grüne Regierung in Paris, eine explosive Situation zu beenden. Seit die in der Nacht zu Samstag gestrandeten über 900 Flüchtlinge dort einquartiert wurden und die Behörden die Kaserne kurzerhand zu einer unzugänglichen „Wartezone“ erklärten, war sie ins Zentrum der politischen Debatte in Frankreich gerückt.

Dass der erste Eindruck vom „Mutterland der Menschenrechte“ durch Stacheldraht geprägt war, schockierte viele. Grüne und kommunistische Regierungsmitglieder, aber auch konservative Oppositionspolitiker protestierten gegen die Internierung und nannten das Lager eine „Schande für die Republik“. Täglich versammelten sich französische Menschenrechtler und Rechtsanwälte, die ihre kurdischen MandantInnen nicht besuchen durften, zu Demonstrationen vor dem Lager.

Am Dienstag reiste die ehemalige französische First Lady, Danielle Mitterrand, in Fréjus an. Mitterrand, die wegen ihres langjährigen Engagements „Mutter der Kurden“ genannt wird, durfte in das Lager hineingehen. Die Flüchtlinge erzählten ihr von den schrecklichen zehn Tagen an Bord der „East Sea“ und zeigten ihre Irritation über das in einem südfranzösischen Gericht geplante Schnellverfahren, bei dem ihre 900 Dossiers an einem einzigen Tag behandelt werden sollten. Mehrfach hörte die ehemalige First Lady auch den Satz: „Lieber in Frankreich sterben, als unter Saddam Hussein leben.“ Vor JournalistInnen resümierte sie ihre Visite: „Es wäre weise, alle Flüchtlinge freizulassen.“

So geschah es. Kurz vor den Kommunalwahlen Anfang März will die Regierung eine weitere politische Zuspitzung rund um die sensible Frage der Immigration vermeiden. Auch den Rechtsextremen will sie keinen Vorwand für einen neuen Feldzug gegen die „ausländische Invasion“ liefern. Auf Weisung aus dem Innenministerium wurden die Schnellverfahren vor Gericht abgesagt. Dass vermutlich einige Flüchtlinge erst gar nicht den relativ aussichtslosen Asylantrag stellen, sondern gleich „in der Natur untertauchen“ werden, ist den Behörden klar.

Seit gestern Morgen stehen die Kasernentore geöffnet. Doch die meisten Flüchtlinge waren auch am Nachmittag noch dort: Sie wissen nicht, wohin in Frankreich. Als sie von Bord der „East Sea“ kamen, glaubten sie, in Italien zu sein.

Auch die französischen Geheimdienste sind überrascht von der Ankunft der „East Sea“ sowie dem Untertauchen ihrer Besatzung. Offenbar wurden der mutmaßlich irakische Kapitän und seine fünf vermutlich türkischen Matrosen, die die „East Sea“ in der Nacht zu Samstag stranden ließen und von Bord flohen, anschließend von einem Schiff aufgegriffen. Sie blieben bislang unauffindbar.

DOROTHEA HAHN

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