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themenläden und andere clubsEndlich: Die Ausgehkrise ist überstanden

Gute Torten, schlechte Kekse

Nachdem die an dieser Stelle in letzter Zeit so häufig beklagte Ausgehkrise wie eine Schlechtwetterfront über uns kam und einen schrecklichen Schatten auf unser Dasein warf, hat sie sich nun angeschickt, dem Winter zu folgen und mit ihm dorthin zu ziehen, wo man ihn aus saisonalen Gründen bereits erwartet. Der Frühling zeigt bereits schüchtern sein Gesicht, die Sonne kommt hervor, und mit dem Himmel klart auch unsere Stimmung zusehends auf.

In postwinterdepressiver Sorglosigkeit drängt es uns vor die Tür, über die Straßen und hinein in die Cafés, deren großzügige Fensterfronten die Sonnenstrahlen auf so anregende Weise brechen. Weil alles so funkelt, setzen wir wieder unsere Sonnenbrillen auf.

Im Gegensatz zu Clubs, in denen wir das Neue, das Extrem und die Zerstreuung suchen, erfüllen Cafés das Bedürfnis nach Gemütlichkeit. Ein nachmittäglicher Cafébesuch ist der erste Schritt in Richtung Nachtleben nach einer freudlosen Zeit des Rückzugs. Das Café ist ein Kompromiss zwischen der eigenen Wohnung und der Welt. Es ist dabei von Vorteil, dass Cafés nicht interessant sein müssen. Insofern gibt es auch keine langweiligen Cafés, sondern nur solche mit guten oder schlechten Torten.

Torten stehen für Vielfalt, Reichtum und Luxus. Wer sich eine Torte bestellt, zeigt damit an, sich etwas zu gönnen. So wie die Alten, die nach Jahrzehnten unter der Knute der Lohnarbeit ihre Restrente gern in Torte investieren, gönnen sich moderne, junge Menschen unter dem Eindruck einer erledigten Ausgehkrise die Torte als Vorgeschmack auf spätere Verlockungen. Die Torte birgt allein aufgrund ihres überdurchschnittlichen Kaloriengehalts einen Hauch dekadenter Ausschweifung. Torten sind frivol und sozusagen das Gegenteil von Keksen. Denn Kekse sind staubig und spröde und in ihrer Gesamterscheinungsform bescheiden. Bereits im Oberbegriff „Gebäck“ drückt sich ihre Bescheidenheit aus, dem vorsichtigen Wortklang gelingt es dabei, die Beschaffenheit von Keksen mit nur zwei Silben angemessen zu beschreiben: ge - bäck. Im Unterschied zu Torten sind Kekse winterliche Backwaren und werden vorzugsweise in den „eigenen vier Wänden“ zu sich genommen. Im Reigen der Jahreszeiten sind Kekse eine Reaktion auf den sommerlichen Eisbecher. Torten hingegen bergen die ganze Sehnsucht der Menschheit nach einem sorglosen Leben. Sie stehen für die Illusion jenes wunderbaren Augenblicks, in dem die Zeit in einem schönen Frühlingsnachmittag im Café für immer hätte ruhen können. Doch dann werden die Tage wieder länger, und mit aller Kraft geht’s ins Nachtleben. In dem Wissen, das alles vergeht, hetzen wir dann den Sensationen nach, während die Tage und Wochen an uns vorbei rasen. Kaum haben wir uns versehen, sitzen wir wieder im Café, schieben uns eine Gabel in dem Mund und denken: So könnt’s sein. HARALD PETERS

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