: Die Fünf Tibeter unterm Kruzifix
Der Trend zu Fernöstlichem: Auch im bayerischen Staatsbad Bad Reichenhall hat er sich durchgesetzt
Kuren, kuren, kuren. Vielleicht in einem „ganz besonderen Mikro- und Makromilieu“. Beispielsweise in Bad Reichenhall bei „gesättigter Natursole und dem Alpenklima des Berchtesgadener Landes“. Bis zur Seehofer’schen Gesundheitsreform profitierte der bayerische Kurort vom vorbildlichen deutschen Gesundheitssystem. Kurdirektor Thorsten Wille spricht vom „unvermeidlichen Reichtum“, der damals dem Ort zufloss. Heute ist dieser Strom dünner geworden und Bad Reichenhall muss sich, wie andere Kurorte auch, um zahlende Gäste mühen. Das gute Klima gegen Atemwegserkrankungen, die Sole und die schöne Landschaft reichen nicht mehr aus. Auch nicht die Spezialisierung auf die Behandlung von Neurodermitis in der Salus-Klinik und deren Therapie im Hochgebirgsklima. Und selbst das orange-braune Design der Siebzigerjahre in zahlreichen Variationen in Cafés und Pensonen genügt nicht, um die immer älter werdende Kundschaft mit nostalgischen Gefühlen zu locken. Das 40 Mann starke philharmonische Ochester mag zwar ein unbestrittener Höhepunkt des 17.000-Einwohner-Ortes sein, aber ein Orchester allein macht noch kein anspruchsvolles Kulturprogramm.
Kurdirektor Wille, Angestellter der Kur GmbH, setzt nun verstärkt auf Tagungstourismus und baut ein neues 80 Millionen Gesundheitsbad mit Erlebnischarakter. Und im Abendprogramm gibt es nicht mehr nur Komödienstadl, sondern auch Lisa Fitz oder Hannes Wader. Wille spricht von der Qualifizierungsoffensive.
Auch im Gesundheitsbereich geht das Bad „neue Wege des Wohlbefindens“. Richtig Atmen, Autogenes Trining, Qigong, Yoga, die Fünf Tibeter, Meditation – vor allem die läuternden Energieströme fernöstlicher Techniken vitalisieren im bayerischen Staatsbad kalte Inhalationsräume. „Vor 10 Jahren gab es dagegen noch massivern Widerstand. Auch von Ärzten“, erzählt Gabriele Squarra, die Leiterin der Gesundheitsbildung. Inzwischen wird Fernöstliches überall angeboten, 78-Jährige erlernen die Verjüngungsübungen Fünf Tibeter. Der Nutzen fernöstlicher Praktiken zur Entspannung und Virtalisierung sind allgemein anerkannt und angenommen. Und so strömt der Atem frei bei den Fünf Tibetern unterm Kruzifix oder bei der Atemwanderung auf der Alm mit Qigong.
Das bayerische Gesundheitsministerium hat diese „neuen Wege“ Bad Reichenhalls unterstüzt und die Reichenhaller haben andere Staastsbäder in „vorbildlicher Gesundheitsförderung am Kurort“ geschult. Vielleicht bringen die fünf Tibeter auch dem Kurort Verjüngung: das Durchschnittsalter der Gäste liegt immerhin bei 58 Jahren.
EDITH KRESTA
Bad Reichenhall/Bayerisch Gmain, Wittelsbacherstr. 15, 83435 Bad Reichenhall, Tel. (0 86 51) 6 06-0, Fax (0 86 51) 6 06-1 25, E-Mail: kur-gmbh@bad reichenhall.de Internet: www.bad-reichenhall.de
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