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Skimützen im Fernsehen

Mexikos Fernsehsender versuchen sich im Zuge des Zapatisten-Annäherungskurses von Präsident Fox mit der Organisation von Friedenskonzerten. Und berichten über die so genannte „Zapatour“. Aber auch die Zapatisten scheinen einlenken zu wollen

aus Mexiko-Stadt ANNE HUFSCHMID

Ein weiß gewandetes Indio-Mädchen sitzt inmitten eines riesenhaften Fußballstadions und wirft eine Friedenstaube in die Luft. Weil es sich um Werbung handelt, tut sie dies nahezu stündlich – und gleich auf sechs verschiedenen Kanälen des mexikanischen Privatfernsehens. Denn diese sechs werden sich am Samstag zur Liveübertragung eines Mammutkonzerts unter dem Motto „Vereint für den Frieden“ zusammenschalten.

Nicht nur dass dieses Konzert im Aztekenstadion ausdrücklich dem „Frieden in Chiapas“ gewidmet ist, ist ungewöhnlich, die heftig beworbene Großveranstaltung soll völlig ohne Werbeunterbrechung übertragen werden und die Erlöse aus 100.000 verkauften Karten – wenn auch nicht näher spezifizierten – „Indiodörfern“ zugute kommen.

Zu diesem guten Zweck vereint haben sich erstmals die beiden größten Fernsehveranstalter, „Televisa“ und „TV Azteca“, bislang streng verfeindete Konkurrenten. Bis vor sieben Jahren war das mächtige Televisa-Konsortium, dessen Wert beim Tod seines Präsidenten Emilio Azcárraga auf knapp vier Milliarden Dollar geschätzt wurde, quasi Alleinherrscher im mexikanischen TV-Geschäft. Politisch fühlte sich der TV-Zar Azcárraga („Ich bin Parteisoldat“) eisern der ehemaligen Regierungspartei der „Institutionalisierten Revolution“ (PRI) verpflichtet. Kulturell funktioniert der Konzern seit den Fünfzigerjahren als Traumfabrik des lateinamerikanischen Fernsehens, die ihre Telenovelas, die melodramatischen Seifenopern, höchst erfolgreich in alle Welt exportiert.

Aus der Privatisierung zweier Staatskanäle ging 1993 der Sender „Televisión Azteca“ hervor, der sich seither mit einer zweigleisigen Strategie profiliert hat: zum einen durch die Produktion „moderner“ Telenovelas, in denen bislang Unaussprechliches wie etwa Abtreibung und Korruption, außerehelicher Sex oder Brustkrebs thematisiert wurde. Zum anderen etablierte die TV Azteca-Nachrichtensendung „Hechos“ (Fakten) einen neuen Standard sensationslüsterner Berichterstattung, der binnen kürzester Zeit die etwas bravere Televisa-Variante als geradezu seriösen Journalismus erscheinen ließ.

Sieben Jahre lang war die Chiapas-Berichterstattung beider Kommerzsender ebenso eindeutig wie tendenziös: Die Rede war, wenn überhaupt, von subversiven Umtrieben und Waffenlagern, „Revolutionstouristen“ und manipulierten Indios, selten wurde die EZLN beim selbst gewählten Namen genannt, so gut wie nie Beweg- und Hintergründe der Erhebung. Dieser Tenor lag genau auf Wellenlänge mit dem regierungsamtlichen Krisenmanagement, einer funktionalen Mischung aus Totschweigen und Kriminalisierung, Häme und Hetze. Doch nach der Abwahl der PRI vergangenen Juli, schreibt der Radiojournalist Jordi Soler, sind nun auch die ihr getreuen Medien „ohne klare Linie“. Und mit dem – wie auch immer begründeten – Interesse des neuen Präsidenten Fox an einer Befriedung des Konflikts „funktioniert mit einem Mal der antizapatistische Diskurs nicht mehr“.

Pünktlich zur so genannten „Zapatour“ (siehe Kasten) sehen sich nun die auch die audiovisuellen Medien gezwungen, auf die neue, softe Fox’sche Linie einzuschwenken.

So geben sich der Erbe des Televisa-Imperiums Emilio Azcárraga Jean und TV Azteca-Chef Ricardo Salinas bei der Fernsehwerbung für das Friedenskonzert einsichtig. „Wir haben den Krieg im Fernsehen gesehen“, so der junge Azcárraga, „jetzt ist es Zeit, dass das Fernsehen auch eine Friedensbotschaft überträgt.“ Das tut es seither vehement. Zur Ankündigung des Konzerts prangen auf Bildschirmen und Zeitungspapier großformatige Friedenszeichen mit Gitarrenhals. „Es fehlen eigentlich nur noch die Marihuana-Blättchen“, kommentiert die Medienkritikerin Florence Toussaint sarkastisch die Anleihen an die Woodstock-Ikonografie. Flankiert wird alles von einer ungewöhnlichen Unterschriftenkampagne: allerorten, ob in der Apotheke oder im Supermarkt, werden die Mexikaner neuerdings schriftlich aufgefordert, einfach „auf irgendeinen Zettel“ das Sätzchen „Ja zum Frieden“ zu schreiben, ihren Namen darunter zu setzen. Wer lieber telefoniert, kann auch eine kostenlose Nummer anwählen und dort seinen Satz und Namen aufs Band sprechen. Was mit den friedensbewegten Zetteln und Anrufen allerdings passieren wird, ist völlig unklar. Etwas klarer scheint dagegen der Adressat: Mit dem konzertierten Friedensmarketing, so der Kolumnist René Delgado in der Tageszeitung Reforma, solle offenbar der Eindruck erweckt werden, „dass ganz Mexiko für den Frieden ist – nur der Zapatismo nicht“.

Das eigentliche Dilemma, meint auch Jordi Soler, liegt bei den Zapatistas. Die neue mediale Einverleibung werde „unweigerlich deren Banalisierung zur Folge haben“. Erst Anfang Februar hatte Subcomandante Marcos, das Aushängeschild der Zapatisten, einem der beliebtesten Fernsehclowns der Nation mitten im Dschungel ein kleines Live-Interview gewährt. Der heißt Ponchito und kam im Hawaiihemd und mit zerzaustem Haupt.

Aber auch umgekehrt gibt es offenbar kaum noch Berührungsängste: So haben sowohl Televisa wie auch TV-Azteca jeweils einen Stoßtrupp Motorradreporter ausgeschickt, die der Zapatisten-Karawane zwei Wochen lang auf ihrer 3.000 Kilometer langen Tour durch die Lande folgen sollen. Schon am ersten Tag, an dem es auf Sandwegen aus dem Dschungel nach San Cristóbal de las Casas ging, wurde eine kurze Rast eingelegt. Marcos sei ausgestiegen, las man tags darauf, habe den rasenden Reportern eine Flasche Wasser angeboten und freundlich gemahnt: „Ich hab euch doch gesagt, ihr sollt euch hier nicht schmutzig machen.“ Ob sie die Ironie verstanden haben, sei allerdings dahingestellt.

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