scharon und peres: Die Hände von Esau
Zweierlei hat sich verändert, seitdem Ariel Scharon an die Macht gekommen ist: Die Taten sind schlimmer und die Worte sanfter geworden.
Wenn man zuhört, steht alles zum Besten. Die Regierung will endlich die Lage der Palästinenser in den besetzten Gebieten verbessern. Nur die „Terroristen“ sollen bestraft werden.
Kommentarvon URI AVNERY
Die Welt ist erleichtert. Also ist dieser Scharon ja gar nicht so schlimm, wie man dachte. Ein gemäßigter alter General. Und mit Peres an seiner Seite sieht er direkt liebenswürdig aus.
Was aber in den besetzten Gebieten passiert, das ist ein anderer Planet. Dort herrscht rohe Gewalt. Die schlimmsten Übergriffe von Barak – und sie waren schlimm genug – werden täglich übertrumpft. Ramallah, die Ersatzhauptstadt des Westjordanlandes, ist abgeschnitten. Alle Landstraßen sind gesperrt, Bulldozer der Armee haben Gräben ausgehoben, Panzer blockieren die Wege. Dutzende von Dörfern sind von der Stadt und auch voneinander getrennt, Lebensmittel kommen nicht überallhin, Kranke und schwangere Frauen können das Krankenhaus nicht erreichen. Es wird behauptet, dass in einigen Dörfern schon Hungersnot herrscht – wie in belagerten Städten im Mittelalter.
In der Armee selbst scheinen alle Regeln aufgehoben zu sein. Soldaten schießen überall, manchmal unter den seltsamsten Vorwänden. Die israelischen Medien berichten über diese Ereignisse ohne besondere Aufregung: Ein 9-jähriges Kind wird beim Spielen im Hof erschossen, eine Frau auf offener Straße von einer Granate getötet.
Kein Wort fiel dazu in der ersten Sitzung der neuen Regierung. Man hat wichtigere Dinge im Kopf. Ausschüsse müssen gebildet und die Ministerposten verteilt werden. Schimon Peres beschwichtigt derweil die Öffentlichkeit. Wenn ein Friedenspreisträger wie er über Friedensbemühungen spricht, dann muss es ja ernst gemeint sein. Vielleicht kommt es sogar zu einer Begegnung mit Arafat – was sich gut fotografieren ließe. Scharon ist mit Peres zufrieden. Dafür hat er ihm ja das Außenministerium gegeben.
In der Bibel gibt es einen Ausspruch, der die Lage gut beschreibt. Jakob kam zu seinem Vater Isaak, verkleidet als sein Bruder Esau, um den Segen des Vaters zu ergattern. Der blinde Isaak betastete ihn und wunderte sich: „Die Stimme ist Jakobs Stimme, aber die Hände sind Esaus Hände.“
Der Autor ist ehemaliger Knesset-Abgeordneter und Publizist in Tel Avivausland SEITE 9
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen