: Jeder hat Talent, auch Boxer
Ex RotarmistVitali Klitschko stellte gestern seine Dissertation in der Bundeswehruniversität vor ■ Von Michaela Soyer
Der Hörsaal der Bundeswehruniversität platzt aus allen Nähten. Schweißgeruch hängt in der Luft. Vitali Klitschko betritt den Raum und wird mit donnerndem Applaus begrüßt. Er überragt alle Anwesenden. In der Hand trägt er seine blau gebundene Doktorarbeit mit dem Titel „Die Methodik der Bestimmung von Fähigkeiten im System der mehrstufigen Auswahl im Sport“. Die Fotografen verunsichern den Box-Europameister so sehr, dass er nur schleppend zu reden beginnt. Als Klitschko Gorbatschow und der Perestroika dafür dankt, „dass ein ehemaliges Mitglied der Roten Armee in der Universität der Bundeswehr einen Vortrag halten kann“, löst sich die Spannung im Saal. Die ganze Wissenschaftliche Arbeit vorzustellen sei auch langweilig, meint der Boxer und beginnt damit, Folien in kyrillischer Schrift aufzulegen. Klitschko führt seine Studien in der Nationalen Ukrainischen Universität durch.
Seiner Doktorarbeit liegt die Frage zu Grunde: „Was ist Talent ?“ Diesem Geheimnis möchte der Ukrainer ein Stück näher kommmen. Dazu benutzte er auch seinen Bruder Wladimir als Versuchskaninchen und testete dessen Schlagkombinationen. Das Ziel der Doktorarbeit war es, Methoden zu entwickeln, mit denen die Fähigkeiten von Boxern bewertet werden können. Das Geheimnis, warum es einer zum Boxstar schafft und der andere vergeblich jahrelang trainiert, kann auch Vitali Klitschko nicht lüften. Über sich selbst sagt er bescheiden: „Ich meine, dass ich kein Talent habe, eher eine Begabung, ich brauche länger als mein Bruder, der war nach sechs Jahren Boxen schon Olympiasieger.“
Seine Messungen ergaben, dass die Psyche eines zwölfjährigen Boxers der eines Erwachsenen ähnelt. Starke Nerven lassen sich nicht trainieren. Das Nervenstärke bei Sportlern entscheidend für den Sieg ist, mag keine neue Erkentnis sein. Aber die wissenschaftlichen Ergebnisse waren nicht das wichtigste. Klitschko räumt ein: „Ich bin nicht so weit, meine Ergebnisse richtig in deutsch zu präsentieren.“ Deshalb weicht er Fragen zur Methodik seiner Arbeit lieber aus. „Ich habe sie in Kiew 20 Professoren vorgestellt, die hatten auch viele Fragen“, sagt er nur. Ist ja egal. Er bemüht sich, und dass die Folien spiegelverkehrt aufgelegt werden, merkt wegen der kyrilischen Schrift auch niemand. Außerdem hat Klitschko 15 Jahre Box Erfahrung hinter sich. Das reicht allemal für einen Doktortitel. Die meisten der Anwesenden haben ohnehin von Sportwissenschaft keine Ahnung. „Es war einfach mal nett Klitschko zu sehen, wenn man es bis jetzt nicht ins Möbelhaus geschafft hat, wo er sonst auftritt“, meint der Student Florian Jordan.
Klitschko gibt am Ende seinen Zuhörern noch eine Lebensweisheit mit auf den Weg: „Jeder Junge hat Talent, die Frage ist nur, ob man es entdeckt.“ Der starke Mann mal ganz weich. Da ist ihm der tosende Applaus sicher. Erleichtert legt Klitschko das Mikrofon aus der Hand.
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