zwischen den rillen: Disco-House goes Klassik-Rock: Daft Punk machen in Bach und Bombast
Fingerübungen in Barock
Lang erwartete Alben werfen ihre Schatten weit voraus. Der Spiegel war ganze fünf Wochen zu früh dran mit seinem Bericht zu „Discovery“, dem zweiten Album des Pariser Duos Daft Punk. Den Vogel ab schoss allerdings die Welt am Sonntag, bisher nicht eben in Hipness-Verdacht stehend. Zwei Wochen vor dem Erscheinen des Albums lud sie zwei vermeintliche „Ahnen des Techno-Pop“ zur Hörprobe – den doppelten Dieter, einer von Modern Talking, einer von Yello.
Vor vier Jahren hatten Daft Punk alias Thomas Bangalter und Guy Manuel de Homem-Christo mit „Homework“ die Popmusik – ja, man darf sagen – revolutioniert: Ihre kompakte Mixtur aus Techno und House zeichnete sich aus durch eine Wucht, die man bis dato nur von Punk oder Metal gekannt hatte. Doch auf „Discovery“ wollten die beiden Innovatoren einiges anders machen: Erstens lässt sich ein Urknall wie „Homework“ ohnehin nicht reproduzieren. Und zweitens haben sich in den vergangenen Jahren zahlreiche Epigonen am Sound von Daft Punk versucht.
Auf der neuen Platte zitieren Daft Punk nun unter anderem Pop- und Disco-Klassiker der frühen 80er wie „I’m Not In Love“, „Buffalo Gals“, „Rock It“ und „The Boy Is Mine“. Rock aber ist, im Unterschied zum Debütalbum, diesmal nicht nur atmosphärisch präsent, sondern auch stilistisch. Schon der Aufbau der Platte verrät, dass wir es mit etwas ganz anderem als „Homework“ zu tun haben: Nach dem Opener, dem Gassenhauer „One More Time“, folgen zwei Stücke, die wohl die alten Fans irritieren sollen. Das ist eine sympathische Taktik, aber musikalisch misslingt sie zumindest im ersten Fall: „Aerodynamic“ wird geprägt von zwei Breaks – das eine besteht aus einem an Eddie van Halen erinnernden Gitarrensolo, das andere aus einer Fingerübung in Barock, und beides klingt kaum nach mehr als einer Provokation um der Provokation willen.
„Digital Love“ zeigt dagegen, wie sich Rock-Elemente, in diesem Fall Westcoast, optimal in House-Musik integrieren lassen. Dieses Stück hätte, abgesehen vom Space-Rock-Gegniedel am Ende, auch von der Kölner Gruppe Whirlpool Productions stammen können.
Es gibt noch zwei weitere Stücke, die ähnlich problematisch sind wie „Aerodynamic“: „Superheroes“ wirkt zunächst wie ein Party-Track in bester Daft-Punk-Tradition, doch in der zweiten Hälfte wird er von einem Bombast überlagert, der an „The Final Countdown“ von Europe denken lässt. Schlimmer noch: „Veridis Quo“, eine Kreuzung aus Bach, New Romantic der frühen 80er-Jahre und Frühclub-Stoff. Barocke Spinett- und Cembalo-Sounds haben im Pop- und Rock-Zusammenhang so gut wie noch nie funktioniert, da machen auch Daft Punk keine Ausnahme von der Regel. Auf die Idee, solche Elemente aufzugreifen, kann ohnehin wohl nur kommen, wer das Glück hatte, nicht in einer Zeit sozialisiert zu werden, als Klassikrock noch ziemlich verbreitet war.
Neben solche Ausrutschern gibt es zahlreiche energiegeladene Stücke, in denen Daft Punk Disco, House oder Electro in Perfektion zelebrieren. Zum Beispiel – nomen est omen – „High Life“. Oder „Short Circuit“, ein Electro-Funk-Monster, das elegant verreckt. Fazit: Es gibt zwei enttäuschende Tracks auf der Platte, drei weitere, an denen es etwas zu bekritteln gibt. Der Rest aber, immerhin neun Stücke, ist umwerfend. Eine gute Ausbeute also. Doch um ein Zitat Bangalters aufzugreifen, demzufolge im musikalisch boomenden Paris mittlerweile ein „Wettkampf“ unter den Protagonisten der Bewegung herrscht: Benjamin Diamond, der Sänger von „Music Sounds Better With You“, und Madonna-Produzent Mirwais haben im letzten Jahr Platten gemacht, die einen Tick besser waren als „Discovery“. Klassik-Rock ist und bleibt halt die Pest.
RENÉ MARTENS
Daft Punk: „Discovery“ (Virgin)
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