: Braune Flecken in Frankreich
Die Kommunalwahlen zeigen, dass sich die Rechtsextremen in den Rathäusern etabliert haben
PARIS taz ■ „Lasst sie nur wirtschaften, dann werden die Leute schnell merken, dass sie nichts von den Rechtsextremen haben“, hatte es in Frankreich geheißen, als die „Front national“ Mitte der 90er-Jahre die Bürgermeistersitze in vier Städten der Region PACA – Provence-Alpes-Côte d'Azur – im Süden des Landes eroberte: Toulon, Marignane, Vitrolles und Orange.
Als am vergangenen Sonntag in Frankreich die Urnen nach dem ersten Durchgang der Kommunalwahlen geleert und ihr Inhalt ausgezählt wurde, zeigte sich, dass die Einschätzung ein Irrtum war. In Orange eroberte der rechtsextreme Bürgermeister Jacques Bompard, der 1995 mit nur 87 Stimmen Vorsprung gewählt worden war, schon im ersten Durchgang die absolute Mehrheit – mit mehr als 5.000 Stimmen Vorsprung vor seinem konservativen Gegenspieler.
Bompard hat die Innenstadtstraßen von Orange gesäubert, die Subventionen für soziale und kulturelle Einrichtungen gestrichen und die Kommunalsteuern gesenkt – das bewährte sich. „1995 konnte man noch von einem Zufall reden“, kommentiert der unterlegene linke Kandidat Claude Béroud, „aber heute ist es eine Wahl.“
In zwei Städten am Nordwestrand von Marseille werden die Rechtsextremen immerhin als bestplatzierte Kandidaten in die Stichwahl am kommenden Sonntag gehen. In Marignane verbesserte der rechtsextreme Bürgermeister Daniel Simonpieri, der die Bibliothekarin entlassen hat und die Stadtbücherei mit rechtsextremer Literatur ausgestattet hat, sein Abschneiden von 35 auf 48 Prozent. Und in Vitrolles schaffte die rechtsextreme Bürgermeisterin Catherine Mégret, die einst versuchte, eine Prämie für weißhäutige Babys einzuführen, zwar nur 39 Prozent (statt 47 Prozent im ersten Durchgang der letzten Kommunalwahlen), doch auch sie hat damit Chancen auf ein neues sechsjähriges Mandat.
Bloß die 160.000-Einwohner-Stadt Toulon hat mit dem rechtsextremen Kapitel vorerst abgeschlossen. Bürgermeister Jean-Marie Le Chevallier, der mehrere Ermittlungsverfahren, unter anderem wegen Misswirtschaft, am Hals hat, bekam nur 7,78 Prozent (statt 31,03 Prozent vor sechs Jahren) und scheidet damit schon vor der Stichwahl aus. Künftig wird der Militärhafen am Mittelmeer voraussichtlich wieder von einem Vertreter der Rechten regiert werden.
Doch verschwunden sind die Rechtsextremen auch in Toulon nicht. Wer die Ergebnisse der drei konkurrierenden offen rechtsextremen Listen und jene der Rechtsabweichler des französischen Gaullismus, RPF, zusammenzählt, stellt fest, dass auch dieses Mal wieder 30 Prozent der Toulonnaiser für Rechtsaußen gestimmt haben.
„Wir sind totgesagt worden, aber uns geht es gut“, trumpfte der historische Chef der französischen Rechtsextremen, Jean-Marie Le Pen, am Wahlabend im französischen Fernsehen auf. Sein früher Generalsekretär, Bruno Mégret, der nach der Spaltung der FN 1998 sein eigenes „Mouvement national républicain“ (MNR) gründete und von da aus die alte FN heftig bekämpft, stimmte ihm ausnahmsweise einmal zu: „Unsere Strategie hat sich ausgezahlt.“
Tatsächlich ist die „nationale Bewegung“ auf gesamtfranzösischer Ebene bei diesen Kommunalwahlen von 6,6 Prozent vor sechs Jahren auf nur noch rund 3 Prozent auf nationaler Ebene heute geschrumpft. Aber die braunen Flecken im Lande sind geblieben.
Nicht nur im Süden Frankreichs, wo sich bei der Unabhängigkeit Algeriens hunderttausende von „Pieds Noirs“ niederließen – ehemalige französische Siedler, die der Kolonialzeit nachtrauern und von denen viele den Thesen der Rechtsextremen besonders zugeneigt sind –, sondern auch in anderen Landesteilen: im proletarischen Großraum Paris, in dem einst hochindustrialisierten Grenzgebiet zu Belgien und im Elsaß. Auch dieses Mal werden die Rechtsextremen wieder in Dutzenden von Gemeinden, darunter zahlreichen Städten über 30.000 Einwohner, bei der Stichwahl das Zünglein an der Waage sein. DOROTHEA HAHN
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