: Auf nach Gorleben: Die Berliner kommen!
Beim Castor-Transport nach Gorleben werden 15.000 Polizisten im Einsatz sein. Die Hauptstadt entsendet 500 Beamte. Im Wendland sind die Berliner Einheiten als „Knochenbrecher“ verschrien. Lüneburger Polizisten versuchen derzeit, die Unterstützungskräfte auf Anti-Konflikt-Kurs zu bringen
von PLUTONIA PLARRE
Wahre Atomkraftgegner bekommen bei der Nachricht eine Gänsehaut: Ende März, wenn in Gorleben der nächste Castor ins Zwischenlager rollt, seien die „Knochenbrecher“ wieder im Einsatz. Gemeint sind die Einheiten der Berliner Polizei. Der Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, Wolfgang Ehmke, nennt den Grund: „Bei dem letzten Atommülltransport 1997 nach Gorleben haben sich die Berliner Hundertschaften durch große Brutalität ausgezeichnet.“
Bei dem anstehenden Castor-Transport aus dem französischen La Hague ins Wendland werden 15.000 Beamte der Länderpolizeien und des Bundesgrenzschutzes bereitstehen. Berlin entsendet 500 Beamte. Nach taz-Information sollen die Berliner wieder an den Brennpunkten Stellung beziehen. Allen negativen Erfahrungen der Vergangenheit zum Trotz.
Der Ruf: Prügelknaben
Bei dem Castor-Transport nach Ahaus 1998 waren die Einheiten aus der Hauptstadt so negativ als Prügelknaben aufgefallen, dass sich der Polizeipräsident von Münster öffentlich über deren Unkollegialität, Aggressivität und blinden Aktionismus beschwert hatte. Nach einem Gespräch zwischen hochrangigen Polizeivertretern aus Berlin und Nordrhein-Westfalen war das Thema aber vom Tisch.
Bei dem kommenden Castor-Transport nach Gorleben soll alles anders werden. Das zumindest ist das Ziel von Polizeiführer Hans Reime, der den Großeinsatz in Niedersachsen leitet. Seit Anfang dieser Woche touren 16 Lüneburger Polizeiangehörige in Zweierteams durch die Bundesländer, um die Hundertschaften, die ins Wendland abkommandiert werden sollen, auf Anti-Konflikt-Kurs zu bringen. Die erste Station war am vergangenen Montag Berlin. Magdeburg, Halle, Nürnberg, Stuttgart, Hamburg, Rostock, Wuppertal, Köln und München werden folgen. Einen vergleichbaren Versuch von Konfliktmanagement im Vorfeld von bundesweiten Anti-AKW-Großdemonstrationen hat es noch nie gegeben.
Die Schulungen der Polizisten sind aber nur ein Teil des Programms. Auch mit der Gegenseite möchten die Konfliktmanager an runden Tischen zu Gesprächen über den Ablauf der geplanten Sitzblockaden zusammenkommen. Bei der BI Lüchow-Dannenberg beißen sie allerdings auf Granit.
Das Ziel: Deeskalation
Die Informationsveranstaltung für die Berliner Einheiten, die in dem Hörsaal eines Polizeiabschnitts stattfindet, ist gut besucht. 150 Augenpaare von überwiegend sehr jungen Polizisten und Polizistinnen ruhen auf den beiden Referenten aus Lüneburg. Der Polizeichef aus Buxtehude, Matthias Oltersdorf (44), und der Leiter des Sozialwissenschaftlichen Dienstes der Polizei in Niedersachsen, Eckhard Gremmler (53), sind in Zivil erschienen. Auch sonst geben sie sich locker und leger. Der schlechte Ruf der Berliner Polizisten ist für die beiden kein Thema. „Wir machen zwischen den Einheiten keinen Unterschied“, sagt Oltersdorf. Schließlich sei über die Magdeburger, Bayern oder Hessen auch schon schlecht geschrieben worden. Zudem sei es für die meisten Polizisten der erste Castor-Einsatz in ihrem Leben. „Die geschlossenen Einheiten sind eine Durchlaufdienststelle“, so Oltersdorf, „die sich alle drei bis vier Jahre personell erneuert.“
Trotz aller Lockerheit – an der Ernsthaftigkeit ihres Anliegens lassen die Referenten aus Lüneburg keinen Zweifel: „Wir wollen erreichen, dass die Konflikte nicht immer in der gleichen Weise ablaufen und es weniger Verletzte an Körper und Seele gibt“, beginnt Gremmler in Berlin seinen Vortrag. Die Polizei werde noch 168 Castoren aus Frankreich und England ins Zwischenlager Gorleben begleiten müssen. „Zwei bis drei Transporte von jeweils sechs Behälternpro Jahr bedeuten, dass wir in etwa zehn Jahren damit fertig sind“, sagt Gremmler. „Wenn wir so fortfahren wie bisher und jeweils 15.000 Polizisten dafür brauchen, werden wir sehr schnell an eine Grenze kommen.“
Das Credo: Vertrauen
Das Credo der Referenten aus Lüneburg lautet: Die Fronten aufknacken. Konflikte minimieren. Als Leitspruch für das Vorhaben dient ein Ausspruch der grünen Bundesministerin Renate Künast: „Die Zeit des Gegenübers ist vorbei.“ Gremmler und Oltersdorf hoffen, dass sich in Zukunft immer weniger Menschen an den Protesten gegen die Atommülltransporte beteiligen, weil sie erkannt haben, dass die Transporte notwendig sind, um den Atomkonsens umzusetzen. „Irgendwo müssen die Dinger schließlich hin.“
Die Konfliktmanager haben sich zum Ziel gesetzt, im Landkreis das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei zurückzugewinnen. „Die Besatzermentalität nimmt man uns wirklich krumm“, sagt Oltersdorf. Bei einem Verhältnis von 52.000 Einwohnern zu 15.000 Polizisten entstehe dieser Eindruck sehr leicht. „In einer Stadt wie Berlin würde dies einer Million Polizisten entsprechen.“ Bei diesem Vergleich erklingt aus dem ansich sehr stillen Zuschauerraum aufgeregtes Gemurmel.
Das Beispiel: Ignoranz
Was mit Besatzerverhalten gemeint ist, verdeutlichen die Referenten an drei Bespielen aus der Vergangenheit: 15 Uniformierte marschieren in einen kleinen Laden. Keiner nimmt den Helm ab. Jeder nimmt sich etwas aus dem Regal und stellt sich an der Kasse an. Keiner sagt ein Wort. Beispiel 2: Sichergestellte Kinderwagen werden von Polizisten einfach in den Wald geschmissen. Beispiel 3: Der Pastor wird von Beamten angefahren: „Hau ab, sonst kriegst du eins in die Fresse.“
Eine Beziehung aufbauen. Die Hand reichen. Worte statt Schlagstockeinsatz. So ein Auftreten und und Verhalten wünschen sich Oltersdorf und Gremmler von den im Wendland eingesetzen Polizisten. Wer dazu im Eifer des Gefechts nicht in der Lage sei, könne die eigens dafür abgestellten Konfliktmangager um Unterstützung bitten. Die Beamten, voraussichtlich 130 an der Zahl, sind an grellroten Windjacken zu erkennen. Die dreiköpfigen so genannten mobilen Kreativteams sollen durch Gespräche dazu beitragen, dass die Lage nicht eskaliert. Außerdem sollen sie Strafanzeigen von Demonstranten entgegennehmen.
In einem Punkt lassen die Referenten aus Lüneburg allerdings keinen Zweifel aufkommen: Die Polizisten haben den rechtsstaatlichen Auftrag, die Transportbehälter in das Zwischenlager zu bringen. „Das“, so Oltersdorf, „ist das vorrangige Ziel.“
Die Gegner: überzeugt
Und genau das ist der Grund, warum das schöne Konzept des Konfiktmangagements letztendlich zum Scheitern verurteilt ist. Für die Anti-AKW-Bewegung ist der geplante Transport der Türöffner für die Fortsetzung des Atomprogramms in all seinen Facetten. Die Devise: Wenn es schon nicht gelingt, die Einbringung des Castors ins Zwischenlager zu verhindern, dann will man es der Polizei wenigstens so schwer wie möglich machen. „Die Polizei ist selber Konfliktpartei“, begründet BI-Sprecher Ehmke, warum die AKW-Gegner nicht mit den Konfliktmanagern Kompromisse aushandeln wollen. „Eine Verständigung kann es nur dann geben, wenn sich die Polizei weigert, für die politisch Verantwortlichen die Drecksarbeit zu machen.“ Man könne mit der Polizei nur an einem Strang ziehen, wenn diese eine Rechtsgüterabwägung vornehme zwischen den Rechten der AKW-Betreiber auf Atommüllabfuhr und den Grundrechten auf Demonstrationsfreiheit und körperliche Unversehrheit. Das Einzige, was Ehmke an dem Polizeikonzept des Konfiktmanagements gut findet, ist der interne Druck auf die geschlossenen Einheiten. „Ansonsten“, sagt Ehmke, „ist das Konzept ein einziger PR-Gag.“
Bei dem Vortrag in Berlin gibt Gremmler offen zu, dass „wir von der BI ziemlich abgemeiert worden sind“. Aber man werde nicht aufgeben. Die Gesichter der Berliner Beamten sind verschlossen. Manche wirken nachdenklich, andere desinteressiert. Einige machen sich Notizen. Nachfragen gibt es kaum, eine Diskussion kommt nicht in Gang. Ein junger Beamter bezweifelt, dass die Konfliktmanager beim Einsatz die Blockierer gewähren lassen können. Schließlich gebe es entlang der Transportstrecke ein Demonstrationsverbot. Gremmler gibt ihm Recht. Die Kreativteams könnten aber „verständlich rüberbringen, dass wir räumen lassen, wenn es Zeit ist“.
Der Leiter: optimistisch
Die Berliner Einheiten haben ihr Vorgehen in Ahaus und Gorleben in der Vergangenheit stets damit verteidigt, dass man bei Fremdeinsätzen immer ganz gezielt an die Brennpunkte gestellt werde. Andere Einheiten wollten sich nicht die Finger schmutzig machen, heißt es. Dass sie nicht lange fackeln, haben die Berliner 1997 in Dannenberg unter Beweis gestellt, als sie die große Sitzblockade zusammen mit den Magdeburger Beamten in einer Stunde abräumten. Andere Einheiten hatten zuvor acht Stunden gebraucht. Der Preis für die Rekordzeit waren laut Ehmke 26 Schwerverletzte, die zum Teil per Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht werden mussten.
Der Abteilungsführer der Berliner Einheiten, Michael Lengwenigs, begrüßte das Konzept der Lüneburger. Ob dies aber nur ein Lippenbekenntnis war, wird sich in einer Woche zeigen. Dann fährt Lengwenigs mit seinen Beamten nach Gorleben. Er bedauert, dass den Berliner Einheiten schon wieder der schlechte Ruf vorausgeeilt sei. Denn auch er halte es ähnlich wie Bundesministerin Künast: „Die Zeit des Gegeneinanders ist vorbei.“ Und deshalb sei er guter Dinge, „dass wir den bevorstehenden Einsatz gemeinsam professionell bewältigen werden“.
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