: Im grünen Dickicht
Die Hamburger Chefin der Grünen, Antje Radcke, gerät wegen Buchveröffentlichung zunehmend unter Druck
HAMBURG taz ■ Dass Antje Radcke den Vorabdruck ihres ersten Buches ausgerechnet an das Springer-Blatt Welt am Sonntag verkauft hat, ist nicht der Stein des Anstoßes. Es ist der Inhalt: In „Das Ideal und die Macht“ rechnet die grüne Ex-Bundes- und jetzige Hamburger Landessprecherin mit zwei Jahren grüner Regierungsbeteiligung ab.
Das hat ihr die Rücktrittsforderungen zweier Hamburger Kreisverbände und die harsche Kritik ihres Co-Sprechers Kurt Edler eingebracht – und der Hamburger GAL eine drohende Schlammschlacht, mitten im Wahlkampf für die Bürgerschaftswahl Ende September. Radcke kritisiert in ihrem Buch vor allem Bundesaußenminister Joschka Fischer und Umweltminister Jürgen Trittin, aber auch die grünen Spitzenfrauen Renate Künast, Claudia Roth und Kerstin Müller. Die Kreisvorstände Hamburg-Mitte und Harburg halten das für unangemessen.
In einem parteiinternen offenen Brief fordern sie Antje Radcke nun auf, die Veröffentlichungen richtig zu stellen: „Ansonsten erwarten wir von Dir eine Erklärung, wie Du die Veröffentlichung Deines Buches mit Deinem Amt und den Zeitpunkt der Veröffentlichung während des laufenden Wahlkampfes vertreten möchtest.“ Auch Co-Sprecher Kurt Edler aus dem Realo-Lager erkennt in Radckes Kritik eine „Diffamierung von Spitzengrünen“ und stellt in Frage, ob sich diese mit „ihrer Sprecherinnenverantwortung vereinbaren lassen“.
Radcke kontert, die Kritiker hätten ihr Buch noch gar nicht gelesen. Es beschreibe lediglich „die Verhältnisse, unter denen wir Regierungspolitik machen mussten“. Die Hamburger Grünen kämen darin – ganz im Gegensatz zur Bundespartei – doch gut weg: „Nicht umsonst habe ich in Hamburg wieder kandidiert.“ Auch den Zeitpunkt der Veröffentlichung verteidigt sie: „Irgendwo ist immer Wahlkampf.“ Die Rücktrittsfrage stellt sich für Radcke nicht – zumal der Landesvorstand sie auf seiner Sitzung am vergangenen Dienstag auch nicht darum gebeten habe.
Morgen wird sich der Landesausschuss erneut mit dem Thema befassen. Dann, so Edler, werde Radcke ausführlich Gelegenheit haben, „alle offenen Fragen zu beantworten“. Auch das Wort Rücktritt könne wieder fallen: „Für die durch ihr Buch entstandene Situation trägt allein Antje Radcke die Verantwortung.“ Die kritisierten grünen SpitzenpolitikerInnen selbst haben das Buch übrigens bisher schlicht ignoriert.
Auch der Bundesvorstand will sich nicht einmischen. Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer sagte, es liege jedoch im Interesse der Bundespartei, „dass die Hamburger diese Sache vernünftig klären“. Antje Radcke war erst im Dezember vorigen Jahres – nach ihrem Verzicht auf eine erneute Kandidatur als Bundessprecherin – zur Sprecherin der Hamburger Grünen gewählt worden. HEIKE DIERBACH
kommentar SEITE 11
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen