die ötv verschwindet: Neuer moralischer Mehrwert gesucht
Es ist erstaunlich: Da lösen sich fünf deutsche Gewerkschaften auf, verschmelzen zur größten Arbeitnehmerorganisation der Welt – und kaum einen scheint es zu interessieren. Von den Arbeitgebern kamen wenige Reaktionen, aus der Politik kaum Resonanz, in den Medien vor allem Pflichtberichte. Es ist, als hätte die Auflösung und Verschmelzung zu Ver.di kaum etwas mit dem Leben der Menschen zu tun.
Kommentarvon BARBARA DRIBBUSCH
Die fünf Gewerkschaften verschwinden in einem schwarzen Loch der öffentlichen Wahrnehmung, auf das sie sich in den vergangenen Jahren stetig zubewegt haben. Dieses Verschwinden ist das Entscheidende, nicht der Neuanfang mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, der in den vergangenen Tagen umso heftiger beschworen wurde.
Mit der Auflösung der fünf Gewerkschaften, insbesondere der ÖTV, verschwinden Symbole eines Kollektivismus von der öffentlichen Bildfläche, der so nur im Wohlstandsstaat Westdeutschland möglich war. Die Symbolik der ÖTV verwies zuletzt aber nur noch auf eine Arbeitswelt der gesicherten Beschäftigungsverhältnisse, die nach der Vereinigung nicht mehr für alle existierte. Die ÖTV stand für das Versprechen, dass Kollektivität stark macht und schützt. In einer flexiblen Gesellschaft von ungesicherten Biografien aber ist dieser moralische Mehrwert zu einem Minderwert herabgesunken.
Es zeigte sich: Ein Kollektiv der gesichert Beschäftigten schließt immer andere, Ungesicherte, aus. Symbole, die für ein besseres Leben durch Kollektivität stehen, wirken unglaubwürdig in einer individualisierten Gesellschaft, in der allerorten die Eigenverantwortung beschworen wird. Fehlende Glaubwürdigkeit, tatsächlich durch den Zusammenschluss die Schwachen schützen zu können, das war zuletzt das Hauptproblem der alten Gewerkschaften. Und hier liegt auch das Risiko für die neue Großgewerkschaft Ver.di
Ver.di soll den Mitgliedern mehr Service bieten, heißt es. Man will mit der Rechtsberatung vor Ort sein, Jüngere gezielter ansprechen. Das klingt nach einer Mischung aus ADAC und Rechtsschutzversicherung – und reicht nicht aus, um die Zukunft von Ver.di zu sichern. Die neue Gewerkschaft braucht einen moralischen Mehrwert, ein Versprechen, dass durch Kollektivität irgendetwas besser, ja gerechter wird. Genörgel an der Rente und Tarifforderungen reichen dazu nicht aus. Wo dieser moralische Mehrwert liegt, das genau ist die Zukunftsfrage für Ver.di.
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