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„Radikale Albaner exportieren die Revolution“

Der Balkanexperte Stefan Troebst ist der Ansicht, dass die albanische UÇK in Makedonien nur wenig Unterstützung finden wird

taz: Bei Beginn des Kosovokrieges wurde der EU vorgeworfen, zu wenig für die Konfliktprävention getan zu haben. In Makedonien dagegen sind OSZE und UN schon seit 1992 aktiv. Dennoch wird nun dort gekämpft. Hat die Krisenprävention versagt?

Stefan Troebst: Nein. Der Einsatz der UN-Blauhelme sowie die Beobachtermission der – damals noch – KSZE zu einem relativ frühen Zeitpunkt war tatsächlich ungewöhlich. So konnten eine Reihe von Krisen in Makedonien selbst, aber auch aggressive Akte der Nachbarstaaten gegen Makedonien entschärft werden. 1995 zum Beispiel, als Belgrad Teile Makedoniens besetzen ließ, um zu testen, wie die Staatengemeinschaft reagiert. Oder bei den schweren Zusammenstößen während der Gründung der albanischen Untergrunduniversität in Tetovo 1994. Damals gab es mehrere Tote, doch der Konflikt eskalierte nicht, da die Staatengemeinschaft hinter den Kulissen Druck auf die Regierung Makedoniens ausübte. So konnte dann im Sommer 2000 formell die Uni von Tetovo gegründet werden, sicher nicht ganz so, wie die Albaner dies wollten. Aber es hat hohe symbolische Bedeutung. Und: Die Diplome der von der OSZE initiierten Uni werden auch international anerkannt. Nicht die der Untergrunduni.

Sie selbst haben die Lage in Makedonien wiederholt als stabil beschrieben. Haben Sie sich getäuscht?

Radikale Teile der Kosovo-Albaner versuchen, ihre Revolution zu exportieren. Die Informationen über ihre Unterstützung in Makedonien selbst sind völlig widersprüchlich. Ich halte eine hohe Zahl an Unterstützern für unwahrscheinlich. Das hat zum einen mit dem höheren Lebensstandard dort zu tun. Zum anderen haben vier Fünftel aller Albaner inzwischen die makedonische Staatsangehörigkeit. Sie haben einen attraktiven Pass, mit dem sie reisen können. Das dürfen weder Kosovo-Albaner noch Albaner in Albanien.

Das Leben in Makedonien ist aber weiterhin fast ausschließlich nach nationalen Kriterien organisiert.

Ausländische NGOs, Nichtregierungsorgansiationen, versuchen, das aufzubrechen, aber sie haben ganz große Probleme. Jede Albanerin, die in einer NGO von Makedoniern mitarbeiten würde, bekäme Druck von ihrer Familie. Dies gilt auch umgekehrt. Interethnische Kommunikation funktioniert nur da gut, wo man Geld verdienen kann. Das sieht man bei der Mafia. Aber auch bei der Privatisierung der Staatsbetriebe haben sich Makedonier und Albaner zusammengetan. Ansonsten existieren in Makedonien zwei Teilgesellschaften, deren Berührungspunkte marginal sind. Eine stärkere Vermischung wollen beide Seiten nicht.

Kommt es angesichts der Kämpfe jetzt nicht zwangsläufig zur Radikalisierung? Haben gemäßigte Albaner überhaupt noch eine Chance?

Das Problem der albanischen Parteien ist, dass sie ihren Streit gern vor der Öffentlichkeit verbergen. Denn sonst könnte diese ja auf die Idee kommen, dass es mit der albanischen Einheit gar nicht so weit her ist. Ich bin enttäuscht über die Haltung von Arben Xhaferi, dessen Demokratische Albaner-Partei immerhin in der Regierung sitzt. Er ist ein Opportunist, der jetzt auf den Zug der UÇK aufspringt. Doch die Partei ist gespalten. Als Gesprächspartner der EU bietet sich Xhaferis Stellvertreter an, Menduh Thaci. Er vertritt die jungen, gut ausgebildeten, gut verdienenden Albaner.

Welche Möglichkeiten hat die EU nun in Makedonien?

Zuerst sollte sie mal gründlich nachdenken. Es gibt zwei Optionen. Die militärische: Mit Kampfhubschraubern und Leopard-Panzern könnte die Nato die Kämpfe in einem Tag beenden. Die Lage würde sich dadurch jedoch verschlechtern. Die andere Variante, mit der albanischen Konfliktpartei zu verhandeln, hat der EU-Gesandte Solana ja inzwischen ausgeschlossen. Das fand ich nicht so furchtbar klug. Denn nun hat man eine Option weniger. Auch rächt sich jetzt, dass man die Frage, was aus dem Kosovo wird, vertagt hat. Wenn man sich zügig für die Unabhängigkeit entschieden hätte, hätte es eine beruhigende Wirkung gehabt. Macht man es jetzt, sieht es nach Belohnung für Gewalt aus. Man hätte Belgrad schon 1999 deutlich machen müssen, dass es mit der Unabhängigkeit des Kosovo noch relativ gut davonkäme. Die EU spricht nur mit der makedonischen Regierung, eine Lösung muss aber für die gesamte Region gefunden werden. Zum Beispiel auf einer Westbalkan-Konferenz.

Soll die Europäische Union sich dafür einsetzen, dass die Albaner in Makedonien als zweites Staatsvolk anerkannt werden?

Im Prinzip ja. Im Moment aber nicht. Das wäre der absolute Offenbarungseid. Die Botschaft wäre: Wenn ihr etwas durchsetzen wollt, dann müsst ihr Gewalt anwenden. Hier kommt die EU mal wieder zu spät – obwohl sie das Problem erkannt hatte. Sie hat periodisch den Druck auf Skopje erhöht und die Dinge dann wieder schleifen lassen. Aber das kennt man ja . . .

INTERVIEW: SABINE HERRE

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