EU-GIPFEL VERPASST DIE GELEGENHEIT ZUR MAKEDONIEN-DISKUSSION: Europa redet und schweigt
Europa braucht ein Projekt. Mit dieser Feststellung versuchen Europapolitiker immer wieder, das Desinteresse der Bürger an der Union zu erklären. Tatsache jedoch ist: Europa hat nicht nur eines, sondern sogar viele Projekte. Aber keiner jener Politiker bemüht sich, dies auch deutlich zu machen.
Das beste Beispiel dafür lieferte das Treffen des Europäischen Rates am vergangenen Wochenende in Stockholm. Da saßen die 15 Staats- und Regierungschefs zusammen, um im Stundentakt nicht nur alle möglichen aktuellen, sondern auch noch alle grundsätzlichen Themen abzuhaken: von der Maul- und Klauenseuche über das Verhältnis zu Russland und die Öffnung der Energiemärkte bis zum Navigationssystem für Satelliten. Bedenkt man, dass sich ein jeder der 15 Chefs aufgerufen sieht, zu jedem Thema seine Stellungnahme abzugeben, kann man erahnen, wie tief schürfend die Diskussionen während der beiden Stockholmer Tage gewesen sein müssen.
Warum aber beschäftigen sich Staatschefs mit den Vor- und Nachteilen des Impfens von Schweinen, wo doch ihre Agrarminister dies bereits mindestens einmal im Monat tun? Und warum macht man ein sozialpolitisches Problem, für das in erster Linie die nationalen Regierungen und eben nicht die Union zuständig sind, zum zentralen Tagesordnungspunkt eines EU-Gipfels? Über die Bedeutung der Reform des deutschen Rentensystems hatten die anderen 14 Regierungschefs wohl schon aus der Zeitung erfahren. Doch vielleicht ist es ja ganz einfach so: Wer zu allem etwas zu sagen hat, muss zu nichts etwas Konkretes sagen.
Für jeden EU-Gipfel ein europäisches Projekt – das wäre sicher nicht zu viel verlangt, und als Projekt für diesen Gipfel hätte sich ohne viel Nachdenken die Krise in Makedonien angeboten. Auch wenn dort noch kein neuer Krieg begonnen hat, ist jetzt schon klar, dass die neuen Auseinandersetzungen auf dem Balkan in den nächsten Monaten die größte Herausforderung für die gemeinsame Außenpolitk der EU sein werden. Eine zweitägige Debatte – gemeinsam mit den geladenen Gesprächspartnern, den Präsidenten Russlands und Makedoniens – hätte da ein Signal sein können. Nicht nur für die Albaner und Makedonier, nicht nur für die Politiker der USA, sondern vor allem auch für die Bürger der EU.
So jedoch musste die schwedische Außenministerin kleinlaut eingestehen, die Forderung des russischen Präsidenten nach einer Eliminierung der „UÇK-Terroristen“ gar nicht mitbekommen zu haben. Putin vergleicht anlässlich eines Gipfels der Europäischen Union vor 1.000 Journalisten die Lage in Makedonien mit derjenigen in Tschetschenien – und die EU, die gerade noch die Einhaltung der Menschenrechte in der Kaukasusrepublik gefordert hatte, schweigt. SABINE HERRE
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