auf augenhöhe: RICHARD ROTHER über Falschparker, Scherben auf dem Gehweg und andere Großstadtrisiken
Ein teures Abendessen
Kennen Sie diese kleinen Aufkleber, mit denen man rücksichtslose Autofahrer ärgern kann? „Park nicht auf unseren Wegen!“ steht auf den niedlichen Dingern, im Szenejargon Spuckis genannt. Sie passen in jede Tasche. Und immer, wenn eine dieser Blechkisten auf dem Geh- oder Radweg steht, schlägt die Stunde der Gerechtigkeit. Der Spucki wird beleckt und auf die Frontscheibe oder den Rückspiegel des Vehikels geklebt. Der ignorante Autofahrer darf dann kratzend überlegen, was er falsch gemacht hat.
Mit einem feuchten Hauch von Sabotage die Welt verbessern – das ist ganz nach dem Geschmack der Aktivisten mit dem großen Sendungsbewusstsein, denen man T. C. Boyles neues Werk „Ein Freund der Erde“ schenken möchte. Und vielleicht, so hofft manch Spucki-Besitzer, denken die Autofahrer ja nach: nicht das Falschparken ist das Problem, sondern das Auto an sich – jene Mordmaschine, die tausendfach mehr Menschen umbringt als alle BSE-Erreger dieser Welt. Merke: kein Auto, kein Falschparken, keine Spuckis! Life can be so simple.
Könnte es sein, denn die Zeiten haben sich geändert. Leider habe ich das verdrängt, nachdem ich kürzlich zwei Runden sinnlos um den Block gekurvt war, einen Parkplatz suchend. Ich hatte großen Hunger, und mein Lieblingsdöner in Prenzlauer Berg hatte mal wieder die Preise gesenkt. Drei Mark für eine vollständige und ausgewogene Abendmahlzeit – die BSE-Hysterie hat auch gute Seiten. Ich parkte also direkt vor dem Imbiss; schließlich hatte ich nicht vor, in dem Laden zu übernachten.
Zehn Minuten später stand ich gesättigt auf der Straße, bemerkte plötzlich, dass ich das Auto auf dem Bürgersteig abgestellt hatte. Direkt vor einer Ampel. Mir floss das Wasser im Munde zusammen, ein munteres Spucki-Abkratzen erwartend. Allerdings: An meinem Rückspiegel klebte kein Aufkleber – der Rückspiegel war gar nicht mehr da. Der lag zertrümmert auf dem Boden, die Scherben auf dem Radweg verstreut. Aber kein Zeichen, kein Graffiti, kein Bekennerschreiben, das den Hintergrund der Sachbeschädigung erläutert hätte. Neues Öko-Bewusstsein: Die Tat spricht für sich.
Das sah ich ein – aber gleich hand- oder fußfeste Sabotage? Wissen die überhaupt, was so ein Spiegel kostet? Wahrscheinlich ja. Allerdings konnte ich mich nicht lange ärgern. Nicht, weil ich dachte, die wirklich unnette Behinderung der Bewegungsfreiheit anderer Verkehrsteilnehmer würde derart rabiate Maßnahmen von Selbstjustiz rechtfertigen – vielmehr wurde mir klar: Der Vorfall gehört zu den stinknormalen Lebensrisiken in einer Großstadt. Vergleichbar mit: beim Schwarzfahren erwischt werden, das Portemonnaie geklaut zu kriegen, in der Bar beim Wechselgeld beschissen zu werden oder auf einer Demo eine Polizistenfaust in die Rippen und hinterher eine Anzeige wegen Körperverletzung zu kriegen.
All das nervt und kostet Geld. Aber gemach! Den orginellsten Beitrag zum Thema hat ein Freund geliefert, der im Hauptberuf Journalist, im Nebenberuf Marktforscher und Online-Redakteur, in der Freizeit Börsenspekulant und linksradikal ist – manchmal auch umgekehrt. Ich fragte ihn, ob ich in eine größere und schönere, aber teurere Wohnung umziehen sollte. „Ist doch bloß Geld“, so die Antwort.
Daran dachte ich, als ich – den teuersten Döner meines Lebens im Magen – nach Hause fuhr. Draußen war es frühlingshaft, und ich war glücklich, dass das Radio im Auto noch funktionierte. Dann geriet ich in eine Polizeikontrolle. Wo mein Rückspiegel sei, wollte ein Beamter wissen. Ich sagte, den hätten mir gerade so ’n paar Prenzelberger Autohasser kaputtgemacht, nur weil ich in zweiter Reihe nach innen geparkt hatte. Der Mann zückte einen Strafzettel: „Verarschen kann ick mir ooch alleene.“
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