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Ende der Buhrufe

Frühling – Spielplatzzeit. Damit auch Mädchen Spiel- und Bolzplätze unbehelligt nutzen können, gibt es in Ludwigshafen seit einem Jahr ein 4800 Quadratmeter großes Areal, auf dem Jungen nur auf Einladung der Mädchen mitspielen dürfen

von MARIANNE LANGE

„Wenn man anfängt, auf einem Bolzplatz zu spielen, gibt es Buhrufe, man wird angemacht, und das verdirbt den ganzen Spaß.“ Martha, sechzehn, kam sich bloßgestellt vor. „Das waren wir wirklich leid, und deswegen wollten wir einen Platz gründen, wo Mädchen spielen können, wann immer sie wollen!“

Martha und ihre Freundinnen hatten Erfolg: Seit vergangenem Sommer gibt es in Ludwigshafen den ersten großen Spielplatz nur für Mädchen. Vier Jahre dauerte die Umsetzung. Der Name, den die Mädchen wählten, ist angelehnt an Steven Spielbergs Film über das Reservat für die untergegangene Welt der Dinosaurier: „Girlassic Park“.

„Es gab keinen bestimmten Grund für den Namen“, sagt Martha. „Bei Park denkt man mehr an Bäume, als wenn man Platz sagt.“ Noch sind die neu gepflanzten Obstbäume und Zierbäume recht klein, doch immerhin gibt es auch den einen oder anderen alten Baum auf dem Gelände. Der Bezug auf den Film „Jurassic Park“ bedeutet aber nicht, dass die Mädchen hier eingesperrt wären. Auf diesen Punkt legt Martha Wert: „Das wird vor allem von Leuten gemeint, die das Projekt nicht befürworten. Wir sind keine Dinosaurier, wir sind Mädchen, die Spaß haben wollen, die Sport machen wollen. Jedes Mädchen kann hierhin, und man muss nichts bezahlen.“

Der Girlassic Park befindet sich am Rand der Schnellstraße in Ludwigshafen-Friesenheim, zwischen dem Gelände einer Chemiefabrik und dem Stadtteil Oggersheim. Das Areal ist leicht hügelig, neben Bäumen gibt es Blumenwiesen, Rasenflächen und Gartenhäuser. An einem Metallzaun entlang kommt man zum Tor: Durch den geht es hinein auf 4.800 Quadratmeter Spielgelände – nur für Mädchen. Für den Zaun gibt es zwei Gründe: einmal die Verkehrssicherheit – aber auch die Idee, Störenfriede aller Art fern zu halten. „Nachts“, sagt Martha, „ist der Platz abgeschlossen. Es sollen keine fremden Leute das Gelände nutzen, dann gibt es nur Abfall.“ Tagsüber ist eine Aufsicht da.

Das Beste am Girlassic Park ist, dass hier keine Jungs reindürfen, denn die besetzen immer das Fußballtor und nehmen einem weg, was sie gern möchten“, sagt die neunjährige Sabrina, die mit ihren Freundinnen am Klettergerüst herumturnt. Eine große Karussellschaukel, in der drei Personen miteinander sitzen können, wäre einer der Wünsche der Kinder. Doch die kostet zwanzigtausend Mark. Die Toilette war wichtiger – sie ist für die Attraktivität des Spielplatzes unverzichtbar, denn die Mädchen kommen zum Teil von weither und wollen nicht einfach hinter einem Busch verschwinden.

Ohne die Unterstützung von Erwachsenen wäre die Idee der Mädchen allerdings wohl ein Traum geblieben. Ludwigshafener Frauengruppen halfen bei der Realisierung der Spielplatzidee. Im Kinder- und Jugendhilfegesetz wird in Paragraph neun festgelegt, dass die öffentliche Hand geschlechtsspezifische Arbeit unterstützen muss. Aber macht der Ansatz einer Trennung von Mädchen und Jungen im Zeitalter der Gleichberechtigung für die Eltern überhaupt noch Sinn?

Clemens G. Schnell, Sparkassenangestellter und Vater von vier Kindern, lobt das Konzept, sieht in der Abschottung aber auch Probleme: „Zum einen sind die Jungen in dem Alter recht neugierig und möchten sich womöglich selbst Zugang verschaffen, andererseits wollen die Mädchen aber vielleicht auch mit den Jungen zu tun haben, ohne es vorher planen zu müssen.“ Gesa Mittelstedt, Versicherungsangestellte und Mutter von Zwillingsschwestern, sieht eher positive Aspekte: „Meine Töchter sind elf, und ich glaube, die Spielplatzzeit ist vorbei. Aber ich glaube, die beiden hätten sich hier freier entwickeln können. Sie mussten sich häufig gegen Jungs wehren, und allein die Erwartung, sich verteidigen zu müssen, hat sie gehindert, wirklich gern auf Spielplätze zu gehen.“

Diesen Punkt kann Christine Gortner, Sozialpädagogin und frühere Dozentin an der Fachhochschule für Sozialarbeit in Ludwigshafen, bestätigen: „Mädchen und Jungen eignen sich Räume unterschiedlich an. Die Jungen lernen schon von Kindesbeinen an, dass ihnen Räume offen stehen oder geöffnet werden. Sie gehen aktiv vor. Mädchen lernen eher, sich im näheren Raum zu bewegen und zu spielen. Sie nehmen Räume sehr vorsichtig ein. Das führt dazu, dass die Außenspielflächen zum größeren Teil von den Jungen genutzt werden.“

Wenn man davon ausginge, so Gortner, dass die Jugendarbeit zum Ziel hat, Gleichberechtigung zwischen Jungen und Mädchen herzustellen, müsse deren Unterschiedlichkeit auch berücksichtigt werden. „Ein Angebot wie der Girlassic Park gibt Mädchen die Möglichkeit, im Freien Räume zu erobern, die sie sonst nicht nutzen.“ Auch in Hamburg und im westfälischen Hamm gibt es inzwischen Spielplätze nur für Mädchen.

Bei ihrer Arbeit hat Christine Gortner festgestellt, dass erlebnispädagogische Angebote speziell für Mädchen erheblich besser nachgefragt werden als gemischte Angebote mit Jungen. Für Heidi Hilgenstock, Spartenleiterin Jugend der Stadt Ludwigshafen, gehört die Unterstützung des Mädchenspielplatzes zur Förderung geschlechtsspezifscher Angebote wie die Einrichtung von „Mädchentreffs“ oder „Mädchentagen“. An der Finanzierung waren verschiedene Stellen beteiligt: „Vom rheinland-pfälzischen Umweltministerium“, so Hilgenstock, „kamen knapp hunderttausend Mark – mit der Auflage, ein Trockenbiotop auf diesem Platz einzurichten. Die Stadt übernahm unter anderem 120.000 Mark Gestellungskosten. Der laufende Betrieb wird zur Zeit mit fünfzehntausend Mark unterstützt.“

Alles in allem hat die Errichtung des Girlassic Park rund vierhunderttausend Mark gekostet. Knapp die Hälfte wurde durch den Trägerverein, in dem die Mädchen Mitglieder und auch im Vorstand vertreten sind, als Eigenleistung aufgebracht. Die Blockhäuser wurden aus Fertigteilen selbst errichtet, Bäume und Sträucher gepflanzt, eine Wasserspielanlage angelegt. 35 gemeinsame Arbeitseinsätze mit Freunden, Bekannten und Nachbarinnen waren nötig. „Das Gelände, das wir zugewiesen bekamen, war eine Schuttstelle“, erinert sich Martha. „Und die mussten wir erst mal von Geröll befreien.“

Auch behördliche Steine galt es aus dem Weg zu räumen. Nach einem ersten Brief an die Stadt mit der Bitte um einen eigenen Spielplatz dauerte es anderthalb Jahre bis zu einer konkreten Antwort. Jeanine, heute siebzehn, schreibt in der Dokumentation über den Platz: „Denken Sie bloß nicht, es sei einfach gewesen. Wie viel weiß eine Zwölfjährige, wie ich es damals war, von Politik und Bürokratie, von mehrstündigen Sitzungen und Arbeitseinsätzen im Regen auf einem Gelände, das einer Schutthalde gleicht, aber keinem Ort, an dem sich Mädchen wohlfühlen können?“

Aus Sicht der Stadtverwaltung ging das Projekt „Girlassic Park“ eher zügig voran, wie Heidi Hilgenstock betont: „Es gibt Projekte, die viel länger brauchen. Es gab den politischen Willen, einen Platz zur Verfügung zu stellen. Es gab das Problem, einen Platz zu finden, der verkehrstechnisch angebunden ist. Gleichzeitig musste er innerhalb einer Wohnbebauung liegen, sodass der soziale Schutz da ist. Und dann ging es darum, Gelder bereitzustellen. Das klappte innerhalb eines halben Jahres. Das einzige Problem war das Anlegen des Platzes. Es hat etwa ein Dreivierteljahr gedauert, bis der Platz eröffnet und bespielt werden konnte.“

Bei der Eröffnung waren Stadtväter und Stadtmütter, Politiker und Politikerinnen begeistert. Doch Geld für eine feste Stelle gab es nicht. Dabei hätten die Mädchen noch viele Wünsche, wie Martha feststellt: „Damit es weiter geht, braucht man noch so gut wie alles: Geld, Aufsichtspersonen, neue Geräte, Pflanzen – und Mädchen, die den Platz nutzen. Die Initiatorinnen sind inzwischen junge Frauen. Offen ist, wie lange sie noch hier bleiben und den Platz weiterführen können.“ Zur Zeit erfolgt die Aufsicht ehrenamtlich. Der Schlüssel kann bei einer Mutter in der Nachbarschaft abgeholt werden. Mädchen kommen von überall her, viele sind Stammgäste. Gruppen können sich vorher anmelden, um den Park zu nutzen.

Manchmal gibt es Partys, bei denen auch Jungen als Gäste dabei sein dürfen. Etwa zu Haloween. Sabrina, deren Klasse die Party organisiert hatte, erläutert den Grund: „Wir sind ja keine Mädchenklasse, wir sind Mädchen und Jungen. Manchmal gibt’s Jungentage, aber nur manchmal. Dann schreiben wir Einladungen und geben sie den Jungen. Dann kommen sie und spielen, und wenn sie den Mädchen was tun, dann werden sie rausgeschmissen.“

Die Girls von der Mädcheninitiative Ludwigshafen nennen sich nicht etwa nach den Dinosauriern, sondern „die Tigerinnen“. Warum gerade dieses Tier? „Eine Tigerin“, erklärt Martha, „ist für mich ein Tier, das stark ist, das sich zu wehren weiß, das ein bisschen gefährlich ist. Aber wenn sie nicht angegriffen wird, dann ist sie auch sanft!“

MARIANNE LANGE lebt als freie Autorin in Köln

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