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das kurzinterview

Michel Barnier ist EU-Kommissar für Regionalpolitik

taz: Herr Barnier, die deutschen Grenzregionen fordern im Falle der EU-Osterweiterung nicht nur Übergangsfristen für Arbeitnehmer, sondern auch ein spezielles finanzielles Hilfsprogramm. Sind Kompensationen wirklich nötig?

Michel Barnier: Mein Kollege Günter Verheugen hat mich für diese Frage sensibilisiert. Er hatte seinen Bundestag-Wahlkreis in einer bayerischen Grenzregion. Ich stamme aus Savoyen, an der Grenze zu Italien, deshalb sind mir die Sorgen der Bewohner in Grenzregionen nicht fremd. Als ich in Mecklenburg war, gab es dort nur ein Thema: die Konkurrenz billiger Arbeitskräfte aus Polen. Das verstehe ich.

Aber müsste die EU jetzt nicht verstärkt die osteuropäischen Beitrittkandidaten und weniger die alten Mitgliedsstaaten fördern?

In der Agenda 2000 sind bis 2006 für die neuen EU-Mitglieder 40 Milliarden Euro vorgesehen. Wenn dieses Geld nicht ganz abgerufen wird, weil erst 2004 die ersten osteuropäischen Staaten aufgenommen werden, könnte man es den Kandidaten zukommen lassen. Diese Idee finde ich persönlich verlockend. Aber ich sehe da bei den Mitgliedsstaaten keine Bereitschaft, schon gar nicht in der derzeitigen BSE-Krise mit den enormen Zusatzkosten für die Landwirtschaft.

Für die Agrarpolitik stehen jedes Jahr 40 Milliarden Euro zur Verfügung ...

Ich will gern zugestehen: Je mehr wir den Kandidaten jetzt beistehen, umso reibungsloser wird die Erweiterung über die Bühne gehen. Für mich ist Europa nicht nur ein Supermarkt, sondern eine Gemeinschaft. Die Regionalpolitik ist Ausdruck der Solidarität zwischen armen und reichen Ländern. Wenn jetzt 10 sehr arme Länder beitreten, sinkt das Bruttoinlandsprodukt der Union um 18 Prozent. Auf einen Schlag rutschen diejenigen Regionen, die heute arm sind ...

wie die ostdeutschen ...

... in eine mittlere Position und würden dann nicht mehr gefördert. Das wäre nicht gerecht. Deshalb müssen wir jetzt eine offene Debatte über die Zukunft der Regionalförderung führen.

INTERVIEW: S. HERRE/D. WEINGÄRTNER

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