standbild: Passionsfrüchte
„Oberammergau – Eine verschworene Gemeinschaft“
(Sa., 20.15 Uhr, Bayern)
Im bayrischen Dorf Oberammergau inszenieren die Bürger alle zehn Jahre ein Riesenspektakel, das letzte Mal im Jahr 2000. Sie führen fünf Monate lang die Passionsspiele auf – die halbe Welt schaut zu, wenn in Tradition seit 1670 die letzten fünf Tage von Jesu Leben und Leiden erzählt werden.
Doch darum sollte es in der Dokumentation nicht gehen. Vielmehr um Alltag nach dem Sturm, nach der großen Entladung. Um Leben an einem Ort, der Öffentlichkeit nur alle zehn Jahre schmecken darf. Oder muss. Denn Oberammergau ist äußerst lebendig, trotz und durch das Ereignis, an dem fast die Hälfte der Bewohner mitwirkt. Die beiden Autoren erzählten davon entlang an beteiligten Menschen: Von der Magdalena-Darstellerin, die gar nicht mehr hier wohnt, bis zum 19-jährigen Erzengel-Spieler, dessen ganzes Leben sich durch die Mitarbeit am Stück verändert hat. Belustigende Ansichten gibt es im Dorf zu Zugezogenen. Und ernste Verwerfungen – die Inszenierung im letzten Jahr unter Regisseur Christoph Stückl ging ungewohnte Wege. Riss Gräben auf zwischen Traditionalisten und Neudenkern, von denen jeder selber wissen will, was für Oberammergau und seine Passion gut ist. Warum aber trotzdem alles glatt gegangen ist, ließen Birgit Meißner und Ralph Gladitz ihre Oberammergauer selbst erzählen. Die Autoren, beide reportagegeübt, müssen sich Zeit gelassen haben: Zwischen Skilanglauf und Kostümfest kommt Oberammergau herrlich nahe. Nur die besten Bilder komponierten Bergwelt und Dorf, überraschend, niemals öde. Wo sie schneller wurden, blieb zum Mitdenken über das Phänomen Oberammergau genügend Zeit. Die Einwohner haben zehn Jahre davon. Heraus stellte sich, dass sie damit zurecht gut kommen. Weil sie, 5.000 Individualisten, ein großes Projekt haben. Ostersamstag ist wohl der beste Tag im Jahr für einen Bericht über das große Danach. Das Leiden Christi ist beendet. Die Auferstehung kommt erst noch. Wer auf das Megakino der anderen Sender verzichten mochte, bekam Besinnung für Dazwischen geboten. Ganz ohne vorösterliche Vergeistigung. Und auch noch schön anzusehen. MARGRET STEFFEN
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