: Stars and Stripes bedrohen Dahlem
Am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität sorgt ein Seminar über die „Anglisierung der deutschen Sprache“ für Streit. Dozent Martin Jander wirft dem emeritierten Professor Fritz Vilmar „deutsche Vorurteile gegen die westliche Moderne“ vor
von ANDREAS SPANNBAUER
Pünktlich zu Beginn des Sommersemesters ist am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität erneut ein Konflikt um den Begriff der nationalen Identität entbrannt. Der Lehrbeauftragte Martin Jander wirft dem emeritierten Professor Fritz Vilmar „Antiamerikanismus“ und die Reproduktion von „deutschen Vorurteilen gegen die westliche Moderne“ vor.
Vilmar bietet in diesem Semester ein Hauptseminar mit dem Titel „Die Anglisierung/Amerikanisierung der deutschen Sprache als politologisches und politisches Problem“ an. In Westdeutschland habe es nach der nationalsozialistischen Katastrophe eine Tendenz gegeben, „sich bereitwillig der kulturellen, politischen und ökonomischen Dominanz der USA unterzuordnen“, heißt es in der Ankündigung. Die Folge sei ein „partieller Sprachverfall“. Heute präge eine „für zwei Drittel der Deutschen kaum verständliche“ Amerikanisierung der deutschen Sprache die Alltagskultur. In diesem Zusammenhang weist Vilmar auch auf „das Phänomen negativer nationaler Identität von Funktionseliten“ hin. Sein Koreferent ist der Vizevorsitzende des „Vereins Deutsche Sprache e. V.“, Horst Hensel.
Jander sieht in dem Text den Topos von der „Zerstörung deutscher Hochkultur durch die amerikanische Unkultur“. In einem offenen Brief, den er gestern am Institut veröffentlichte, spricht der Mitarbeiter des Forschungsverbundes SED-Staat davon, dass sich linke und rechte Zivilisationskritik bei Vilmar auf eigentümliche Weise paarten. „In dem Text finden sich die Elemente einer Trauer um den Verlust des deutschen Sonderwegs von vor 1945 ebenso wie die um den Verlust des ostdeutschen Sonderwegs nach 1945.“ Die Machart erinnert Jander „in ihrem Kern an den Vortrag von Bernd Rabehl vor der rechtsradikalen Burschenschaft Danubia“. Die Rede, in der Rabehl vor einer Zerstörung deutscher Identität gewarnt hatte, hatte zu heftigen Protesten von Professoren und Studenten geführt. Jander kritisiert auch den Institutsrat scharf. „Ich kann nicht verstehen, dass so etwas auf dem Ausbildungsplan steht.“
Eberhard Sandschneider, Dekan des Otto-Suhr-Instituts, hält das Seminar für „inhaltlich etwas problematisch“, verweist aber auf die Freiheit von Lehre und Forschung. Sandschneider denkt aber aus anderen Gründen darüber nach, die Durchführung der Veranstaltung in den Räumlichkeiten des Instituts zu untersagen. „Herr Vilmar hat die Veranstaltung per Flugblatt als kostenloses Sprachenseminar der FU Berlin angekündigt.“ Wissenschaftliche Vorkenntnisse, so verspreche das Werbematerial, seien „nicht erforderlich“. Dies sei mit den Anforderungen an eine wissenschaftliche Lehrveranstaltung nicht vereinbar.
Jander hofft nun auf eine breite Diskussion über die Thesen seines Kollegen. Vilmar selbst weist die Vorwürfe bisher als „bodenlose Unterstellung“ zurück. Für weitere Stellungnahmen war er gestern nicht zu erreichen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen