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Vom Mythos der Vergleichbarkeit

Mit neuen Abschlüssen und dem European Credit Transfer System sollen deutsche Unis internationalisiert werden

Als Hauptargument für die zügige Einführung der neuen Abschlüsse Bachelor (BA) und Master (MA) wird immer wieder der Zwang der Anpassung auf die Internationalisierung genannt.

Bislang schlugen sich deutsche Absolventen hiesiger Diplome oder Magister mit den ausländischen Behörden um die Gunst der Anerkennung ihrer Abschlüsse. Dieser Prozedur sollen nun endlich die neuen Abschlüsse ein Ende bereiten und eine internationale Vergleichbarkeit herstellen.

Doch bei näherer Betrachtung erweist sich gerade diese internationale Einheitlichkeit als Illusion, denn die neuen Abschlüsse stellen sich als nicht einmal ansatzweise so kompatibel wie gemeinhin angenommen heraus. „Eigentlich garantieren die neuen Abschlüsse überhaupt keine Vergleichbarkeit“, sagt Wolf Wagner, Prorektor der FH Erfurt. Die einzelne Form der Abschlüsse ist so vielseitig, dass sich die Vergleichbarkeit laut Wagner „letztlich nur über die Namen herstellt“. Das allerdings bringt seiner Ansicht nach schon einen Vorteil, könnten so immerhin ausländische Studierende das Angebot besser verstehen und würden nicht durch fremde Bezeichnungen verwirrt.

Die Unterschiede sind dennoch frappierend. Während in Großbritannien die Master-Abschlüsse üblicherweise nach zwei Jahren Aufbaustudium vergeben werden, sind die deutschen Abschlüsse häufig darauf ausgerichtet, diesen Titel schon nach einem Jahr zu verleihen. Zudem zeichnet sich in Großbritannien eine Tendenz ab, einen Masterabschluss schon nach vier Jahren Studium, ohne vorherigen Bachelor-Abschluss anzubieten, um so den Zulauf an die Hochschulen zu stärken. Diesen Einzelreformen der Hochschulen sollte der im Sommer 2000 gefasste Beschluss von Bologna entgegenwirken. Hierbei einigten sich die Kultusminister Europas, langfristig ein „Zwei plus drei“-System zu etablieren. Nach einem dreijährigen BA soll ein zweijähriger MA folgen. Doch formulieren die Beschlüsse nur eine Leitlinie und sind für die Länder nicht bindend, was für weitere Alleingänge der Länder sorgt. Während Italien und Frankreich das „Zwei plus drei“-System voll angenommen haben, verläuft die Umsetzung in Deutschland nur schleppend. Die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz (KMK) und der Hochschulrektorenkonfrenz (HRK), die der Einführung der neuen Abschlüsse grünes Licht gaben, kamen Bologna zuvor und erlaubten somit die Einrichtung der einjährigen Master-Abschlüsse. Zudem „gibt es in der BRD überhaupt keinen Druck, Bologna durchzusetzen“, klagt Wagner. Damit ist es den Hochschulen freigestellt, sich den Beschlüssen anzupassen. Viele werden sich dem verweigern und an ihren Strukturen festhalten.

Noch komplizierter gestaltet sich eine Annäherung an das amerikanische System. „In Amerika gibt es ja noch nicht einmal eine anständige Anerkennung der Leistungen und Abschlüsse innerhalb des Landes“, sagt Wagner. In der Konsequenz heißt das für die Studenten, bei einem Wechsel auch innerhalb der USA jeden einzelnen Schein und jeden Abschluss auf genaue Entsprechung akribisch prüfen lassen zu müssen. Diesbezüglich bringen auch die neuen Abschlüsse keine Erleichterung. Hoffnung auf eine Vereinfachung von Studienortwechseln zumindest innerhalb Europas weckt aber das mit den neuen Abschlüssen gleichzeitig verabschiedete European Credit Transfer System (ETCS). In einem Modulsystem sollen in einzelnen Seminaren und Kursen gesammelte Creditpoints ein länderunabhängiges allgemeines Punktekonto ergeben, das in anderen Hochschulen weitergeführt werden kann.

Obwohl also noch kein wirkliches Licht in den Abschluss- Dschungel der Hochschulen gekommen ist, verspricht doch zumindest das ETCS Erleichterung, schon weil es laut Wagner „die Hochschulen zu einem Perspektivenwechsel führt, sie müssen sich jetzt mehr an den Studenten orientieren“. MAREIKE FUCHS

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