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ejectSEBASTIAN SEDLMAYR über Börne-Preisträger Rudolf Augstein

Wo ist Nietzsche?

Als Friedrich Nietzsche seine eloquenten Hasstiraden gegen Richard Wagner schleuderte, war dieser schon jenseits von Gut und Böse. Der „Meister“ Wagner, wie der selbstgefällige Komponist neogermanischer Pomp-Opern sich unbescheiden nennen ließ, hatte 1883 ins Grab gefunden. Nietzsche, der Enttäuschte, prahlte fortan furchtlos mit Insiderwissen über die „Geheimnisse“ des Ex-Verehrten.

Wenn Rudolf Augstein, der Richard Wagner der bundesdeutschen Zeitungszunft, am Sonntag von FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher den Ludwig-Börne-Preis entgegennimmt, wird nicht Bayreuth Schauplatz des Spektakels sein. Doch in Frankfurt wird der gleiche „schwülstige Schleier“ die honorige Gesellschaft in der altehrwürdigen Paulskirche überziehen, der einige klar denkende Anwesende dereinst bei den ersten Bayreuther Festspielen zum Naserümpfen brachte. Keiner wird in Augsteins Vergangenheit wühlen, und die Frage ist – wie damals: Wo ist Nietzsche?

Denn es gibt auch in Augsteins Bannkreis Männer, die unschöne Kapitel im Leben des Alten kennen, diese aber offensichtlich erst nach dessen Abtreten an prominenter Stelle der deutschen Öffentlichkeit auflösen wollen.

Die „Geheimnisse“: Dass der Spiegel in den 50er-Jahren zwei von fünf Ressorts mit ehemaligen SS- und SD-Kameraden besetzt hatte. Dass wichtige Informanten und Autoren des Spiegel Nazis auf Rehabilitierungskurs waren, die ihre alten Kader per unverhohlener Empfehlung im – damals noch Hannoveraner – Nachrichtenmagazin in die altneue Elite hievten. Bei der jüngsten – und ersten – Podiumsdiskussion zum Thema Altnazis beim Spiegel in Düsseldorf (siehe taz vom 10. 5.) blieben diese Erkenntnisse auch vom langjährigen Augstein-Gefährten Hans Leyendecker unwidersprochen.

So fragt sich nur: Wer will den Nietzsche spielen? Hellmuth Karasek wohl nicht; der hatte sich in Düsseldorf, „kurzfristig erkrankt“, erst gar nicht auf die Bühne gewagt. Hans Leyendecker, seit seiner fristlosen Abwendung von Meister Augstein 1997 bei der Süddeutschen beschäftigt und eigentlich für die Rolle des Aufklärers prädestiniert, möchte nicht in den Ruch des keifenden Rächers persönlicher Enttäuschung kommen.

Fazit der letzten fünf Jahre: Solange der Meister an der Elbe regiert, wird keiner der alten Kameraden den Mund aufmachen. Am peinlichsten ist das für das „Sturmgeschütz der Demokratie“ (Augstein über seinen Spiegel) selbst.

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