: Lieber rote Zahlen als frisierte Bilanzen
Als erster Bahnchef vertritt Hartmut Mehdorn die Interessen seines Unternehmens hart gegenüber der Politik. Die jubelte über seinen Willen zur Aufklärung und wirft ihm nun vor, er überschreite seine Kompetenzen. Rot-Grün muss im Wahlkampf Erfolge bei der Bahn vorweisen
BERLIN taz ■ Die Vorgänger von Hartmut Mehdorn als Bahnchefs hatten ein Problem. Sie waren politisch abhängig von der Bundesregierung und rechneten regelmäßig die Bilanzen schön. CDU-Mitglied Johannes Ludewig etwa verantwortete als Bahnchef die Riesenbaustelle „Bahnknoten Berlin“: Geplant war ein Projekt von 4 Milliarden Mark. Die wirklichen Kosten, so der neue Bahnchef Mehdorn, belaufen sich auf 6 Milliarden.
Mehdorns Problem: Er muss als brutalstmöglicher Aufklärer die roten Zahlen verkünden, die früher schöngerechnet wurden. Und er tut es mit Begeisterung. Im November ergab ein Gutachten, statt der erwarteten Gewinne von 10 Milliarden Mark in den nächsten drei Jahren werde es bis zu 6 Milliarden Mark Verluste geben. Bundesverkehrsminister Klimmt blies daraufhin den Börsengang der Bahn im Jahr 2004 ab.
Diese Offenheit ist Mehdorns Strategie: Je düsterer er das Bild malt, desto größer wird der Druck aus der Politik, der Bahn zu helfen. Erreicht hat der Bahnchef immerhin, dass aus den UMTS-Erlösen die Bahn bis 2003 jährlich 2 Milliarden Mark zusätzlich bekommt. Damit ist sie auf dem Niveau an staatlicher Stütze, die bei der Bahnreform 1994 ursprünglich versprochen worden war. „Mehdorn hat die Schwarzmalerei nicht übertrieben, sondern nur die Fakten präsentiert“, heißt es aus der Bahn AG. Viele Manager wissen es zu schätzen, dass Mehdorn Tacheles redet.
Die Bahn kennt aber auch das Risiko. „Wir müssen weg aus der Negativecke“, hieß es schon zum Jahreswechsel. Mit Verlierern will kein Kunde ins Geschäft kommen, meint auch Bahnexperte Gottfried Ilgmann: „Armut deprimiert.“ Mehdorns offensives Umgehen mit den Milliardenlöchern und der Benachteiligung der Schiene gegenüber der Straße stempelt ihn auch zum Nörgler: „Die Kommunikation läuft völlig falsch“, heißt es aus den Regierungsfraktionen. „Die Bahn schafft es, statt ihrer Erfolge mit Milliardeninvestitionen in neue Züge immer nur zu betonen, dass sie wieder Strecken stilllegen muss.“ Vor allem die Grünen ärgern sich, dass sie im beginnenden Wahlkampf gegenüber ihren Wählern nicht auf mehr Erfolge der Bahn verweisen können. Und auch SPD-Verkehrsminister Kurt Bodewig braucht dringend positive Meldungen vor den Wahlen.
Deshalb knirscht auch die SPD mit den Zähnen. Immerhin hat Mehdorn Verkehrsminister Bodewig eine Niederlage verpasst. Dessen Idee, die Trennung von Netz und Betrieb schnell voranzutreiben, stieß auf harten Widerstand der Bahn. Mehdorn erkämpfte sich einen Platz in der Taskforce der Regierung, die über die Frage bis zum Herbst ein Konzept vorlegen soll. Jetzt beeinflusst die Bahn, was ihr Eigentümer, der Staat, mit ihr plant – für Rot-Grün eine „Kompetenzüberschreitung“. Auch der respektlose Umgang mit dem Bund als Eigentümer erzürnt die Politik. Schließlich hat die Regierung Geld gegeben und den Mehdorn-Kritiker Dieter Vogel aus dem Aufsichtsrat abgezogen: „Was will Mehdorn denn noch?“ Bahn und Politik ringen heftig um Geld und Einfluss. Das ist das Resultat eines politisch unabhängigen Bahnchefs, den es unter Kohl nicht gegeben hätte. Aber glücklich wird die Regierung Schröder damit auch nicht.
BERNHARD PÖTTER
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