: TV-Sender auf Mädchenjagd
■ Im Schnürschuh Theater hatte das Stück für Jugendliche und Erwachsene „Creeps“ Premiere: Es liefert einen gut recherchierten und unterhaltsamen Blick auf den Medienalltag
Die Umgangs-Englisch-Vokabel „creeps“ hat eine Doppelbedeutung. So kann man durchaus sagen „The creep is giving me the creeps“, und damit ausdrücken, dass man Gänsehaut bekommt, wenn man einem besonders unangenehmen Zeitgenossen begegnet. Die drei Teenies Martina, Claudia und Viola hatten eher die Gänsehaut im Sinn, als sie sich für eine neue Sendung mit diesem Titel als Moderatorin beworben hatten. Zum Casting eingeladen, müssen sie dann aber leidvoll erfahren, dass sie selbst im Fernsehstudio manipuliert und schließlich als die „creeps“ in einer Reality-Show verheizt werden.
Das ist die Geschichte des neuen Stückes im Schnürschuh-Theater. Die Schlusspointe kann man ruhig schon verraten, denn im Gegensatz zu den drei Opfern auf der Bühne riecht das Publikum sie schon nach den ersten Minuten der Aufführung. Kein Wunder, denn wir sitzen in der Position der Fernsehregie und sehen hinunter auf die als Studio ausstaffierte Bühne, auf der die drei Mädels hochdramatisch versuchen, einander auszustechen, bis sie zum Schluss merken, dass der Gegner immer schon hinter der Kamera saß und mit den Bildern auch die Macht hat.
Dies ist der zwar einfache aber sehr effektive Aufbau dieses Stücks „für Jugendliche und Erwachsene“ von Lutz Hübner, dessen „Das Herz eines Boxers“ auch vom Schnürschuhtheater aufgeführt wurde. Drei möglichst unterschiedliche Teenager werden mit ihren Ambitionen, Konkurrenzgefühlen und Illusionen in einen Hochdruckkessel namens Fernsehstudio gesteckt, und wir gucken zu, was passiert. Die Grundidee für eine solche Reality-TV-Serie ist so nah dran an der heutigen Medienrealität, dass man dem Autor raten möchte, sie urheberrechtlich sichern zu lassen.
Auch sonst überzeugt „Creeps“ in erster Linie dadurch, dass da einer ganz genau weiß, wovon er erzählt. Da steckt viel Recherche und Analyse drin. Das Ganze ist nur wenig satirisch überhöht – so zynisch geht es tatsächlich zu in unserer Medienwelt. Vor einigen Monaten gab es auf RTL2 eine Docu-Soap-Serie, in der das Casting für eine Girlie-Pop-Band mit der Kamera begleitet wurde, und dabei wurden die meisten Mädchen mindestens so gnadenlos vorgeführt wie hier im Theater.
Manchmal kommt „Creeps“ ein wenig zu schematisch/pädagogisch daher, und die drei Protagonistinnen sind eher Typen als Menschen, die auf der Bühne wirklich lebendig würden. Eine kleine Naive aus Chemnitz, eine psychisch Labile, die sich für Biotonne und Regenwald engagiert, und eine Schickymicky-Zicke aus Hamburg: Das ist schon mit einem sehr dicken Pinsel gemalt. Dazu kommt das Kardinalproblem von so genannten Jugendtheater-Projekten: Die DarstellerInnen sind jeweils eine Generation zu alt für die dargestellten Teens und Twens. Dafür knien sich Martina Flügge, Claudia Böttcher und Viola Kunze aber so in die Rollen, dass dieser erzwungene Verfremdungseffekt kaum stört, sondern eher die Sache noch interessanter macht.
Am meisten überzeugt aber an „Creeps“ die Sprache: Alle drei Mädchen beherrschen ihren passenden Jargon, der sehr differenziert, authentisch und pfiffig klingt. Lutz Hübner muss mit dem Tonbandgerät viele Gespräche mit Jugendlichen aus verschiedenen Milieus aufgenomen haben, denn so gut hat da sonst kaum jemand zugehört. Er biedert sich nicht an und denunziert nicht, man kann sich bei ihm also nicht wie sonst viel zu oft über das ständige „Cool“, „Fett“ oder „Megageil“ mokieren.
Fast könnte man Lutz Hübners „Creeps“ als journalistisches Theaterstück bezeichnen, so genau beschreibt es den Medienalltag und ist es verankert im Hier und Jetzt. Vor drei Jahren hätte es so noch nicht geschrieben werden können, in fünf Jahren ist es von den Entwicklungen der Medienwelt überholt, aber heute bietet es einen unterhaltsamen, witzigen und interessanten Blick auf die Mechanismen der Spaßgesellschaft.
Wilfried Hippen
Weitere Vorstellungen: heute, Samstag, um 20.30 Uhr, sowie am 22., 23. und 25. Mai jeweils um 11 Uhr im Schnürschuh-Theater, Buntentorsteinweg 145.
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