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Die Rosetta mit der schrillen Stimme

Die linke Christdemokratin Rosa Russo Jervolino wird nach gewonnener Stichwahl neue Bürgermeisterin Neapels

Unwählbar sei die Jervolino, allein schon wegen ihrer Stimme. „Schließlich will auch das Ohr sein Teil.“ Berlusconi hatte letzte Woche auf der Abschlusskundgebung des Rechtsblocks in Neapel die Lacher auf seiner Seite, als er über Rosa Russo Jervolinos immer zu hohe, immer zu schrille Stimme lästerte. Kein Problem für die Kandidatin des Mitte-links-Bündnisses: Trocken konterte sie, sie sei nicht zum Schlagerfestival von San Remo, sondern zur Bürgermeisterwahl von Neapel angetreten.

Die Wähler sahen es genauso und verschafften ihr am Sonntag mit 53 Prozent der Stimmen einen Sieg in der Stichwahl. „Rosetta“, wie ihre Fans die Frau mit der immer perfekt sitzenden Dauerwelle nennen, soll den Kurs der Erneuerung fortsetzen, den Neapel unter ihrem Vorgänger Antonio Bassolino seit 1993 eingeschlagen hat.

Promoviert hatte Jervolino einst über die Gleichstellung von Männern und Frauen im Erwerbsleben. Das Thema ließ sie nicht los: Mit dem Bürgermeisteramt Neapels hat sie erneut eine männliche Bastion geknackt. Dabei weist ihr Werdegang sie scheinbar als Vertreterin der alten Politik aus – die Christdemokratin Rosa Russo Jervolino gehört zu den wenigen, die den Zusammenbruch der Partei zu Beginn der Neunzigerjahre politisch überlebten.

1954 war sie, gerade achtzehnjährig, der Democrazia Cristiana beigetreten, auf den Spuren ihres Vaters, der für die DC im Parlament saß und zudem der mächtigen „Katholischen Aktion Italiens“ vorstand. Es folgte die klassische Karriere im christdemokratisch beherrschten Italien: Die Einserjuristin arbeitete zunächst im „Nationalen Rat für Wirtschaft und Arbeit“, dann im Bilanzministerium und schaffte zugleich den Aufstieg in der Partei. 1979 wurde sie zum ersten Mal als Senatorin ins Parlament gewählt. 1987 schaffte sie den Sprung als Ministerin für Soziales ins Kabinett – und machte sich kräftig unbeliebt bei der Linken, als sie 1990 die „Lex Jervolino“ durchs Parlament brachte, ein Drogengesetz, das auch Konsum und Besitz kleinster Mengen unter Strafe stellt.

Ansonsten aber blieb die Jervolino eine Politikerin aus der zweiten Reihe. Erst der Niedergang ihrer Partei bescherte ihr den Aufstieg in höchste Positionen. Denn anders als die meisten Granden der DC war sie von Skandalen völlig unberührt. 1994 übernahm sie für einige Monate die Führung der neu gegründeten Partito Popolare, in der sich der linke Flügel der Christdemokraten zusammengefunden hatte, und 1998 wurde sie die erste Innenministerin in der italienischen Geschichte.

In diesem Amt gelang ihr das kleine Wunder, sich gerade bei der Linken beliebt zu machen. Ob Einwandererproteste oder linksradikale Demos – die Jervolino setzte auf Dialog statt auf den Knüppel, lud zum Beispiel nach einem ruppigen Polizeieinsatz gegen Demonstranten in Triest die Vertreter der Autonomen ins Innenministerium, um sich ihre Beschwerden anzuhören. So wurde die Christdemokratin zum Darling der Kommunisten – und jetzt zur Bürgermeisterin von Neapel. Eigentlich wollte sie den Job gar nicht, doch nach monatelangem Gezerre gab sie schließlich nach: „Rosetta“ war die einzige Kandidatin des „Ölbaum“-Bündnisses, die auch auf die wahlentscheidende Unterstützung von Rifondazione Comunista zählen konnte.

MICHAEL BRAUN

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