: Ein guter Ruf ist nicht gut genug
„The Thing“, das Netzwerk für Internetkunst der ersten Stunde, steht vor dem finanziellen Ruin. Sponsoren und Museen wollen heute lieber die anerkannten Stars der Szene als anstrengende Diskussionen über neue Medien unterstützen
von VERENA DAUERER
Die gute Laune ist nicht nur an der Börse vorbei. Die bildende Kunst, schon immer enger verwoben mit dem großen Geld erfolgreicher Industrieller als andere Kunstgattungen, bekam die Krise schon zu spüren, bevor die Aktienkurse in den Keller fielen. Renommierte Adressen für die Netzkunst wie „äda web“ mussten ihre Arbeit schon vor über einem Jahr einstellen. Unter adaweb.walkerart.org ist heute nur ein kleines, aber feines Museum der bereits historischen Web-Avantgarde zu betrachten.
Immerhin fand das „Äda“-Web beim renommierten Walker Art Center eine ehrenwerte Ruhestädte. Schlimmer steht es um eine andere Legende der Webkunst: The Thing New York, seit vielen Jahren ein Nährboden und digitaler Raum für neue Idee und Diskurse, steht vor dem Zusammenbruch (www.thing.net). Die wenigen Sponsoren, die heute noch Geld haben, meiden die immer etwas spröde auftretende Gruppe um den New Yorker Server. Neuere, eher dem Hype als der seriösen Debatte um neue Formen hinterherjagende Institutionen würden heute die Fördergelder wegschnappen, schrieb Josephine Bosma im deutschen Netzmagzin Telepolis, und rief dazu auf, The Thing wenigstens als Provider durch eine Mitgliedschaft mit bezahltem Webspace und E-Mail-Account zu unterstützen.
Eine Rettungsaktion der eher verzweifelten Art. Völlig überraschen konnte die Krise freilich niemanden, den Beteiligten war die Situation schon lange klar. Außer seinem guten Ruf hat The Thing heute nicht mehr viel anzubieten. Zwar fand der weltweit beachtete Spielzeugkrieg der Künstlergruppe Etoy gegen den Spielezeugvermarkter etoy.com auf den Rechner des Thing-Netzes statt. Nur merkte das kaum jemand: Eine Todsünde in jener Welt der Markennamen, die Etoy so wunderbar parodierte.
Späte Einsichten
Die Pleite ist deshalb durchaus auch selbst verschuldet. „Wir haben ein Profilierungsproblem und uns zu lange nicht um Fund-Raising gekümmert“, gibt Wolfgang Staehle zu, Thing-Gründer und Geschäftsführer des angeschlossenen Providers und der Webagentur Thing.net. Möglicherweise kommt die Einsicht zu spät. Zu lange glaubte man daran, eine Adressse wie diese könne einfach nicht untergehen. Doch wenn im nächsten Monat endgültig der Vertrag mit einem Großkunden ausläuft, der zu einem Großteil den Provider finanziert, dann ist es so weit.
Angefangen hatte Staehle mit minimalen Mitteln 1991. Ein „Kommunikationsexperiment“, sagte er in einem Gespräch mit dem Künstler und Mitaktivisten Jordan Crandall, und tatsächlich war „The Ting“ zunächst nichts weiter als eine Mailbox für Texte. Inspiriert von der Open-Source-Bewegung, entstand aus den Bedürfnissen des damaligen Kunstdiskurses heraus ein Netzwerk, in dem sich eine Community, vorerst in New York, außerhalb der institutionalisierten Beschränkungen über Kulturtheorien unterhielt. Die elitären Regeln und Codes der Kunstwelt sollten außer Kraft gesetzt werden, der Austausch von Meinungen sollte unabhängig und authentisch bleiben.
Ähnlich wie „The Well“ in San Francisco und die „Digitale Stadt“ in Amsterdam wuchs ein „virtuelles Soziotop“ heran, wie Staehle heute sagt. Der digitale Freiraum riegelte sich seinerseits zu einem Insidertreffpunkt ab. Aber seit 1993 entstand neben dem Diskussionsforum ein Produktionsraum für Projekte der Künstler Beat Streuli, Heath Bunting, Vuk Cosik, Mark Napier, Daniel Pflumm und anderer. Mit diesen untereinander elastisch verknoteten Arbeiten sollten sich vernetzte Medienzellen mit einer „strategischen Informationsinfrastruktur“ bilden, schreibt der Künstler Ricardo Dominguez in einem Diskussionsbeitrag. Systemkonform sollten dezentrale Knoten entstehen. Eigenständige Ableger unter dem Markennamen „The Thing“ wurden in Wien (1993), Berlin (1993), Frankfurt (1994) und in Amsterdam (1994), später auch in Rom (1999) und zeitweise in Köln, Düsseldorf und Basel aufgebaut.
1995 präsentierte sich The Thing N. Y. und Wien zum ersten Mal auch im Web, 1998 machte der Server der Künstler durch eine eigene Aktionen auf seine Lage aufmerksam, als Staehle das komplette Onlinearchiv bei eBay zur Versteigerung anbot.
Ein Jahr später wurden bei einer weiteren Auktion dann auch reale, nicht allein im Web verfügbare Arbeiten von Künstlern zur Finanzierung ihres Providers verkauft. Schließlich müsse es nicht immer nur Netzkunst sein, wie auch immer man diesen Begriff definiere, meint Staehle. Er versteht The Thing eher als Plattform für Cross-Media.
Die Arbeitshaltung der an den Projekten Beteiligten war zu Beginn unbekümmert idealistisch: Voll engagiert für wenig Geld, ließen sie sich ausbeuten. Doch das Projekt wuchs über diesen Rahmen hinaus. Die Kosten überforderten das Budget der Pioniere. Vor drei Jahren kam es daher zur Gründung des ISP Thing.net, um als kommerzieller Provider, Host und Agentur für Webdesign die finanzielle Seite zu sichern.
Almosen für Idealisten
Immer noch durch kostenlose Mehrarbeit, versteht sich. Das Konzept ging bis heute nicht auf: „Es ist eine Preisspirale. Die Miete hat sich versechsfacht, die technische Ausrüstung muss auf dem neusten Stand sein, drei Leute sind fest angestellt, daneben verschiedene Freelancer und Praktikanten. Wir haben einen Overhead von 20.000 Dollar im Monat, das ist knapp bemessen und lässt keinen Spielraum, die Sache weiterzuverfolgen. Mit diesem Budget kann ich keine neuen Projekte angehen, und an Unterstützung bekommen wir allenfalls Almosen von einer staatlichen Kunstorganisation“, so lautet Staehles Bilanz. Siebzig Prozent der Zeit werde für die Agentur gearbeitet, an sich schon ein Full-Time-Job, der Rest sei für The Thing und zu wenig, findet er. Sollte nicht bald ein Geldgeber vor der Tür stehen, wird die Agentur ausgegliedert. „Ich kann das den Mitarbeitern nicht mehr zumuten, zweimal so viel zu arbeiten und ihnen keine marktgerechten Löhne zahlen. Die springen ab, sind verbraucht und ausgelaugt.“
Auch Staehle selbst hat genug von dem idealistischen Arbeitsethos. Er will sich aus dem Tagesgeschehen zurückziehen, um sich seiner Karriere als Künstler und den Ausstellungen zu widmen, auf Panels zu gehen und zu veröffentlichen. Was übrig bleibt, ist damit Fund-Raising zur Aufrechterhaltung des Betriebs. Das wurde allerdings die letzten Jahre versäumt. Selbstkritik ist angesagt: „Vielleicht haben wir das nicht professionell angegangen.“ Da hilft kein Schimpfen auf die Institutionen und Museen, die eigene Posten für das Sponsoring haben: „Das MoMa und das Walker Art Center sind etabliert und für Unternehmen oder große Foundations präsent. Die wollen natürlich jemanden mit einem Namen unterstützen. Da fließt viel Geld, und wir sind immer dazwischen durchgefallen.“ Wichtig sei es deshalb, die grundsätzlichen Unterschiede zur Struktur der Museen zu betonen. The Thing sei anders, weil es medienspezifisch, also vernetzt arbeite. Staehle: „Museen sind für autorisiertes Wissen da, für den Kontext und die Klassifizierung von Kunstwerken. Die Netzkultur haben die noch nicht begriffen: Sie müssen den Künstler isolieren, um ein Produkt zu haben, und präsentieren ihn als Net.art-Star. Man sollte als Museum vernünftigerweise die Netzkultur im Allgemeinen darstellen, damit die Kuratoren selbst begreifen, was da passiert.“
Profis werben Sponsoren
Nach Staehles Wunsch sollten Künstler auch weiterhin die Chance haben, bei The Ting so bekannt zu werden, dass sie mit Aufträgen betuchter Institutionen rechnen können – etwa vom Walker Art Center, das wiederum von der Jerome Foundation gefördert wird, The Thing aber nicht. „Bei denen haben wir schon dreimal angefragt und sind immer abgelehnt worden. Das ist schon ärgerlich“, so Staehle. Immerhin gibt es jetzt einen Mitarbeiter, der sich professionell um Sponsoren bemüht.
So vernetzt, wie das Konzept von The Thing sich ausgibt, ist es in Wirklichkeit nicht mehr. Zwischen den Ablegern ist die Kommunikation spärlich, außer den Knoten Wien und New York haben die anderen fast keinen Kontakt mehr. „Jeder kocht sein eigenes Süppchen“, meint Ulf Schleth von The Thing in Berlin, der von einer Krise nichts wusste. „Dass es in New York nicht so gut läuft, war abzusehen. Die Providinggeschäfte werden immer schwieriger“, meint er. Er finanziert sein Projekt mit einer eigenen Webfirma. Es sei nicht unbedingt nötig, „full time“ an The Thing zu arbeiten, sagt Schleth: „Eine gute Methode ist, das Ganze langsam wachsen zu lassen.“
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