: „Erst lenken, dann denken“
Freundlicher Mensch in einer unfreundlichen Welt: Der Aktionsmaler und Musiker Jim Avignon über Kunst und Kommerz, sein Werbe-Waterloo auf Sylt und die Erfahrung des Falsch-verstanden-Werdens
Interview MAX DAX
taz: Sie haben als Aktionsmaler begonnen, der seine Bilder bei Party-Events verschenkt hat. Später konnte man Ihre Figuren vielfach in der Werbung, sogar auf Flugzeugen der Deutschen BA prangen sehen. Wie haben Sie es empfunden, mit einem Mal Allgemeinbesitz zu sein?
Jim Avignon: Das Problem war eher, dass der Teil von mir, der zum kollektiven Besitz geworden war, der falsche war: ein Klischee. Ich habe mich selbst mit meinen Bildern immer als einen kritischen Zeitkommentator gesehen. Angekommen beim Publikum ist: bunt, lustig, gut gelaunt. Was ja, und das ist die Tücke, zum Teil ja auch gestimmt hat. Aber reduziert auf die witzige, bunte Seite, sah ich mich mit völlig falschem Publikum konfrontiert, mit dem ich auch wirklich nichts zu tun haben wollte.
Die Leute, die ich gerne weiterhin erreicht hätte, kamen irgendwann nicht mehr auf meine Ausstellungen, weil sie nichts mit diesen Spaßmenschen zu tun haben wollten, von denen immer mehr kamen. Irgendwann blieb dann dieser Gesamteindruck: Avignon, der macht viel Geld mit Werbung, will Unterhaltungskunst machen und vielleicht auch seine Sachen billig verkaufen.
Wie haben Sie versucht gegenzusteuern?
Die Erfahrung des Falsch-verstanden-Werdens zählt zu den Erfahrungen, die man nur einmal macht im Leben – danach ist klar, wie man seine Identität verteidigt. Überwinden konnte ich mein Problem aber erst, nachdem ich zuvor meine größte Krise durchstanden hatte: nämlich als ich 1995 den Auftrag bekam, für die Zigarettenmarke West einer Surfweltmeisterschaft ein Gesicht zu geben.
Ich erinnere mich, dass ich eigentlich bis zu meiner Ankunft auf Sylt geglaubt hatte, dass es sich tatsächlich um eine Surfweltmeisterschaft handelte – und nicht um eine Werbekirmes der Marke West. Alles, was ich gemalt hatte, wurde mit hunderten von Logos verziert. Ich bin dann Amok gelaufen und habe angefangen, als Live-Malgeschichte nur noch Logos anderer Companies zu malen, so in diesem Warholschen Sinne. Das hat natürlich einen Konflikt mit West heraufbeschworen, weil die meine Männchen haben wollten und nicht die Logos anderer Zigarettenmarken. Die zwei Wochen auf Sylt waren Krieg.
Rückblickend war es eine tolle Sache, weil sie mir heute das Gefühl gibt, mich nicht korrumpiert zu haben. Aber damals habe ich die ganze Situation als desaströs empfunden. Danach war mir klar: Wenn ich mich verkaufe für einen Job, dann ist das eine klare, professionelle Angelegenheit. Bis dahin aber hatte ich doch tatsächlich gedacht, diese Surfweltmeisterschaft hätte eine Ausstellung unter freiem Himmel werden können, auf der ich die Segel der Surfboards anmale und Totempfähle in den Sand stecke. Ach, ich hatte eine Menge Ideen gehabt.
Was haben Sie mit dem Geld gemacht, dass Sie mit Werbung verdient haben?
Anlegen . . ., dazu hatte ich keinen Bock, ausgeben . . . auch nicht. Ich hatte allerdings große Lust daran, mir Situationen auszudenken, die irre viel Geld kosteten – so wie meine Hoteltour durch Europa.
Ich hatte damals in verschiedenen Städten ganze Hotels gemietet und bin dann mit Freunden dorthin gefahren. In den einzelnen Zimmern habe ich meine Bilder ausgestellt, in jedem Zimmer gab es eine Bar und einen DJ. Auf diese Art und Weise habe ich locker 10.000 Mark pro Stadt gelassen. So habe ich die 100.000 Mark, die ich mit Werbung verdient hatte, dann wieder auf den Kopf gehauen.
Haben Sie diese Aktion dokumentiert?
Ich habe sie sogar absichtlich nicht dokumentiert. Das war Ende 1995. Zu dieser Zeit hatte ich in Frankfurt in der Kunsthalle Schirn meine erste große Ausstellung, machte viel Werbung, und habe für das Downbeat-Label die Cover gestaltet, inklusive handgemalter Serien von Maxisingles.
Das wurde mir irgendwann alles zu viel. Ich hatte den Eindruck, ich kann machen, was ich will – es wird sich garantiert jemand finden, der daraus Geld machen wird. Auf jeder Ausstellung kam irgendein Typ an und versuchte mir zu erklären, dass man meine Bilder zweitverwerten sollte – Lizenzierungen, Produkte. Ich hatte davon so die Schnauze voll, dass ich diese Tournee durch die Hotels partout nicht dokumentieren wollte – sogar die ausgestellten Bilder habe ich zum Schluss zerschnitten. Diese Aktion war kein geplanter Schritt, um meine Karriere voranzubringen, sondern eine fast kindische Trotzreaktion, eine Art Verweigerung gegenüber dem ganzen Rummel. In diesem Sinne trug sie geradezu selbstdestruktive Züge.
Sie reden in der Vergangenheitsform darüber. Das ist ja ein Indiz dafür, dass die Krise überwunden ist.
Ich habe diese Krise bewältigt, indem ich anfing, Musik zu machen. Ich war gezwungen, einen neuen Weg zu finden. Es war schon früher mein Traum gewesen, Musik zu machen. Verwirklicht habe ich ihn erst im Moment der größten Verzweiflung.
Verzweiflung heißt auch Zweifel.
Ich glaube, dass ich ein sehr intuitiver Mensch bin: Ich mache. Erst dann stelle ich mir die Frage, warum ich das eigentlich gemacht habe. Es passiert mir sogar recht häufig, dass ich mich frage: Warum habe ich mir eigentlich diese Orgel gekauft? Warum diese Aktion gemacht? Die Frage, warum ich das tue, stelle ich mir fast immer erst rückblickend. Erst lenken, dann denken sozusagen.
Sie haben Ihre Unschuld verloren. Die verliert man ja auch nur einmal im Leben.
Völlig richtig. Und mir sind klare Verhältnisse auch nicht unangenehm. Im Umkehrschluss bedeutet das: Es ist mir viel, viel lieber, für die Werbung zu arbeiten und dafür Geld einzustreichen, als von derselben Firma ein Stipendium einzustreichen, was dann vielleicht gar keiner mitbekommt, weil sich die Firma schön eine Stiftung gegönnt hat, deren Name nicht auf sie rückschließen lässt. Werbegeld auf den Kopp zu hauen oder damit Projekte anzuschieben, ist mir lieber, als von der Industrie eine „offizielle“ Anerkennung für meine Arbeit in Form eines Stipendiums zu bekommen.
Dieser Tage erscheint Ihre vierte CD unter Ihrem Musiker-Pseudonym Neoangin, „A Friendly Dog in An Unfriendly World“. Was bedeutet es, dass diese CD erstmals auf einem richtigen Label erscheint und nicht mehr im Selbstverlag wie die CDs zuvor?
Der Unterschied zu früher ist, dass es heute einen Marketingmenschen gibt, der an den entscheidenden Stellen etwas herumdrängelt, damit etwas passiert. Gerade, wenn ich mich mit Leuten unterhalte, die mir sagen, wie toll sie das alles finden, was ich so mache, und die ich nicht selten schon länger kenne, frage mich: Warum ist es für euch erst jetzt interessant, wo euch eine Plattenfirma sagt, es wäre interessant? Warum war es für euch jahrelang nicht interessant, als ich mich selbst gemanagt habe?
Ich sehe den vielen Interviews, die ich jetzt führen muss, mit gemischten Gefühlen entgegen. Früher habe ich es gehasst, wenn eine Platte rauskam und man in allen Magazinen, die man aufschlug, die selben fünf Sätze darüber lesen konnte – die Spürbarkeit einer Industrie, die dahintersteht, hat mich wütend gemacht. Meine Musik habe ich daher zunächst auf meinem eigenen Label veröffentlicht und auf meinen Konzerten verkauft. Die Freiheit war mir zu wichtig, als dass ich sie mir von irgendwem hätte optimieren lassen wollen.
Ich bin sehr gespannt, ob sich etwas ändern wird, jetzt, da ich zum ersten Mal seit Jahren wieder in der Presse stehe. Ich weiß nicht, ob es schlau war.
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