: Eine Frau für alle Möglichkeiten
In Hollywood galt Marilyn Monroe als kompliziert und unnahbar. Für Fans blieb sie eine Projektion alltäglicher Wünsche – selbst im letzten Interview
von HARALD FRICKE
Niemand war da, als sie starb. Aber alle haben sich die Gründe für ihren Tod ausgemalt, in den dutzenden an Biografien, von Norman Mailers Klageschrift im Namen der Monroe bis zu Joyce Carol Oates obsessiver Charakterstudie „Blond“ aus dem vergangenen Jahr. Es ist die Unschärfe zwischen der persönlichen Biografie und dem Imago, zwischen konkretem Leben und imaginären Zuschreibungen ans role model einer Nation. Nur in dieser Aufsplitterung gab es die echte MM.
Vor allem aber galt sie der Presse und den Produzenten bis zuletzt als unerreichbar. Physisch und auch im Kopf. Sagt man. Deshalb wurden die Arbeiten an „Something’s Got to Give“ im Juni 1962 eingestellt, als sie für den Film unter der Regie von George Cukor die Termine nicht mehr einhalten konnte. Ihr Arzt stellte ihr die entsprechenden Krankmeldungen aus, die 20th-Century-Fox-Studios verklagten sie trotzdem auf 500.000 Dollar Entschädigung. Der Faden, der sie mit Hollywood verband, war damit endgültig gerissen.
Öffentlich bis in den Tod
Doch die Öffentlichkeit nahm weiter regen Anteil an ihrem Leben. Und umgekehrt. Dabei hielten sich nicht nur die hartnäckig behaupteten Skandale, von denen die Klatschzeitungen berichteten, auch die Sympathien für den Star, der sich bereitwillig seinem Publikum zeigte, waren ungebrochen bis zuletzt. Denn die Ikone hatte sich trotz weiter schillernder Oberfläche gewandelt: vom Pin-up im Playboy zur ernsthaften Gesprächspartnerin des Life-Magazins. Zurück in New York, wo Marilyn Monroe auch nach der Ehe mit Arthur Miller in einem Apartment an der 57. Straße wohnte, gab sie Richard Meryman, Redakteur von Life, ein ausgiebiges Interview. Es wurde am 3. August 1962 veröffentlicht, zwei Tage vor ihrem Tod.
Der Text erschien damals ohne jeden Kommentar, selbst die Fragen wurden beim Abdruck gestrichen. Deshalb schon liest sich Monroe ein letztes Mal im O-Ton wie das seitenlange Resümee eines Lebens. Und man staunt: über die Unverblümtheit, mit der das angeblich exzentrische Leben von MM plötzlich auf einen Alltag zusammenschrumpft, in dem der Müllmann an der Ecke morgens freundlich gegrüßt wird und der Ruhm im Nachhinein auch nicht mehr als skin deep erscheint: „Es ist wie mit Kaviar – es ist prima, wenn man Kaviar hat, aber nicht, wenn man ihn jeden Tag zu essen bekommt.“ Offenbar wusste sie da schon, dass es mit dem Glanz vorbei war: Monroe hatte ihn erlebt, „aber er war nichts, in dem ich lebte.“
Kind des Kinos
Worin aber hat sie gelebt? Zunächst in der Fantasie. Schon als Kind wurde sie von ihren zahlreichen Adoptiveltern ins Kino geschickt, von morgens bis abends, die Leinwand immer als Fenster zur Welt, larger than life, „und ich liebte alles, was sich da oben bewegte“. Erst mit elf Jahren merkte sie überhaupt, dass es auch andere Kinder gab, dass sich „plötzlich die Welt da draußen öffnete“. Und es war eben diese Welt, die sie in ihre eigenen Filme herüberholen wollte, auch weil „es die Menschen waren, die mich zum Star machten – kein Studio und kein Produzent“. Tatsächlich wurde diese Beziehung vor allem in Hollywood unterschätzt: Bis zum Schluss galt Monroe lediglich als Produkt, dessen Sexappeal für den Erfolg an den Kinokassen sorgte.
Diese physische Anziehungskraft wurde von Monroe immer wieder ins Absurde geführt. Sex ist bei Monroe ein Image, eine Schutzschicht, die auf der Leinwand ein Eigenleben entwickelte. Zugleich hat sie dieses Image nie wirklich geliebt. Es war ihr peinlich, wenn sie zu Partys bestellt wurde „wie ein Pianist, der nach dem Dinner Klavier spielt, und ich weiß dabei, dass du nicht deiner selbst wegen eingeladen worden bist. Du bist nur ein Ornament.“ Selbst als Monroe 1962 auf John F. Kennedys Geburtstagsfeier sang, fiel es ihr schwer, im Plauderton der Prominenz zu bleiben – sie stellte dem Präsidenten einfach ihren Exschwiegervater Isadore Miller vor, „weil er als Immigrant nach Amerika gekommen war“ und nun etwas zu erzählen hätte, „für seine Enkel“. Auch nach der Scheidung von Arthur Miller galt ihr Respekt eher dem Durchschnittsamerikaner als der Elite: Sie wusste, dass sie von unten kam, und sie wusste, dass es die Leute von unten waren, die „an der Kinokasse zwei Dollar bezahlten, um mich zu sehen“.
Urlaub im Film
Das mag zwar nach dem ewigen Patriotismus des all-american girl klingen. Doch für Monroe war es das Glück: gleichzeitig Star zu sein und damit doch eine Realität aus Wünschen abzubilden, die ihren eigenen entsprachen. Sie konnte im Film Urlaub vom Ich nehmen und trotzdem spielen, was sie in sich selbst sah: eine Projektion, auf die sich alle einigen konnten – Monroe inklusive. Dass ihr dieser Spagat zwischen Existenz und Artefakt gelungen ist, macht noch heute den Reiz ihrer Filme aus: Wer sonst hat es geschafft, sich dermaßen traumhaft durch Komödien, Varieténummern und Liebesdramen zu bewegen? Welcher Star blieb so real, selbst wenn sein Image am künstlichsten war?
Monroe nannte diesen Umgang mit Fleisch gewordener Fiktion die Kreativität des Schauspielers, der „keine Maschine ist“. Für sie ging es darum, ein „menschliches Wesen zu sein, das fühlt, das leidet – du bist glücklich, du bist krank, du bist nervös, was auch immer“. Und plötzlich zitiert sie dem vermutlich sehr verdutzten Meryman auch noch Goethe in den Notizblock: „Talent entwickelt sich im Verborgenen.“ Dennoch weiß sie nur wenige Sätze später, wie sehr man sich gegen die Projektionen der Studiobosse durchsetzen muss, wiederum aus eigener Erfahrung: „Als ich die Rolle in ‚Gentlemen Prefer Blondes‘ annahm, bekam Jane Russell – sie war im Film die Brünette und ich die Blonde – also sie bekam 200.000 Dollar dafür, und ich erhielt 500 Dollar die Woche, was für mich aber dennoch annehmbar war. Sie war im Übrigen immer sehr bezaubernd zu mir. Das Einzige, was ich aber nicht bekam, war ein Umkleideraum. Am Ende, so weit ging ich dann doch, sagte ich: ‚Letztlich bin ich doch die Blonde und der Film heißt Gentlemen Prefer Blondes!‘ Weil sie noch immer zu mir kamen und mir erzählten: ‚Vergiss nicht, du bist kein Star.‘ Und ich erwiderte: ‚Na gut, aber was immer ich bin, ich bin die Blonde!‘ “
Das FBI ermittelt
Es ist diese Sprunghaftigkeit, der Widerspruch aus Kunst, Professionalität und Lebensalltag, der es schwer macht, Marilyn Monroe auf ein Bild festzulegen. Der FBI hat es dennoch versucht: Seit 1954 stand die Schauspielerin wegen ihrer Kontakte zu Kommunisten unter Beobachtung, mittlerweile sind sogar einhundert Seiten der so genannten Monroe-Files freigegeben. Wie die Beamten der Bundespolizei aus den versprengten Aufzeichnungen von Hotelbuchungen und Meetings mit linken Schriftstellern oder Drehbuchautoren allerdings schlau hätten werden sollen, bleibt auch bald 30 Jahre nach Monroes Tod ein Rätsel. Man liest von Reisen nach Mexiko, von Treffen mit Gewerkschaftlern. Nur über die Gespräche, die dort geführt worden, wusste keiner Bescheid. Aber der Verdacht reichte aus, dass Monroe ahnte, sie würde „keine vernünftige Rolle mehr bekommen“, nachdem Miller vor dem Ermittlungsausschuss für unamerikansiche Umtriebe keine Namen genannt hatte. Ihr blieb der „Stolz auf meinen Ehemann“ und die Scherben danach. Sie wusste selbst nicht, wie sie sie zusammenkehren sollte – so steht zum Schluss im Interview festgeschrieben: „Du bist immer so gut wie deine Möglichkeiten.“ Dieser Möglichkeitssinn hält bis heute an.
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