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Ein Enthusiast in der Hauptstadt

Hier kommt der Mann, der nichts weniger als eine berlinische Dramaturgie entwickeln will! Vom 1. August an ist Volker Hesse Intendant des Gorki-Theaters. Mit der Suche nach Konzept und Differenzierungsvermögen hat er schon längst angefangen

von CHRISTIANE KÜHL

Noch ist er nicht ganz angekommen. Zwar hat Volker Hesse seit kurzem eine Wohnung, ein Büro und ab dem ersten August auch ein Theater in Berlin, aber ein bisschen blickt er auf diese Stadt noch wie einen fremden Planeten. Einen interessanten fremden Planeten. Einen alten Planeten, der sich neues Berlin nennt und auch sonst voller Paradoxien ist. Volker Hesse gefällt das. „Ich mag die vielen Unfertigkeiten hier. Die Brüche in den Biografien. Das Suchende.“ Noch guckt er von außen auf die Stadt, doch wünscht er nichts dringender, als bald tief in sie einzudringen. „Mich mit dieser Stadt auseinander setzen: Das ist ein Motor meiner Arbeit.“ Was der neue Intendant des Maxim Gorki Theaters mit seinem Team entwickeln will, ist denn auch nichts weniger als das: „eine berlinische Dramaturgie“.

In den Siebzigerjahren verbrachte Hesse einige Zeit für Recherchen in Berlin. Er promovierte damals über Bernhard Diebold, Mitarbeiter der Frankfurter Zeitung, deren literarisches Feuilleton ganz auf die pulsierende Hauptstadt konzentriert war. Wenn Volker Hesse heute von der gesteigerten Aufmerksamkeit spricht, mit der man hier durch die Straßen laufe, und von der konstruktiven Unruhe, die in der Stadt herrsche, klingt viel nach von der Zwanzigerjahre-Metropolenbegeisterung. Man ist versucht, den Enthusiasten direkt an die Berlin-Werbung weiterzuvermitteln – ein Vorschlag, der ihn amüsiert. „Sie meinen, das sind Klischees? Wenn Sie mal in Bonn oder in der Schweiz gelebt haben, sehen Sie das anders.“ Er selbst musste es dreißig Theaterjahre lang anders sehen, als er zwischen Trier, Bern, Düsseldorf und München in starren Strukuren lebte und arbeitete. Aber er sah auch – und vor allem: zeigte –, dass man diese Strukturen aufbrechen kann.

1993 übernahm Hesse gemeinsam mit Stephan Müller die Leitung des Zürcher Neumarkt-Theaters. Innerhalb kurzer Zeit gelang es den beiden, das 200-Plätze-Haus, das bei der Übernahme kurz vor der Schließung gestanden hatte, zu einem der interessantesten Theater der Schweiz zu machen. Das lag zum einen an ihrem Interesse für zeitgenössische Themen – Hesse inszenierte unter anderem 1993 die deutschsprachige Erstaufführung von Tony Kushners „Angels in America“ und 1996 die Uraufführung von Theresia Walsers „King Kongs Töchter“ –, vor allem aber an ihrer offenen, an freien Theaterformen orientierten Dramaturgie.

Ausgehend von Themen, egal ob aktuelle oder antike Stoffe, wurde mit Autoren, Regisseuren und dem Ensemble eine geeignete ästhetische Umsetzung gesucht. So genannte Projekte entstanden. Bestes und international erfolgreiches Beispiel hierfür ist das in Zusammenarbeit mit Urs Widmer entstandene Drama „Top Dogs“: „Wir haben in Zürich beobachtet, wie Manager, einst Idole der Gesellschaft, plötzlich selbst fatal von den Umstrukturierungen betroffen wurden, die sie eigenhändig in die Wege geleitet hatten. Wir suchten ein Stück, das diese Situation beschreibt. Da wir keines finden konnten, haben wir es entwickelt.“

Auch in Berlin will Hesse die Rituale der Macht untersuchen. „Das Maxim Gorki liegt mitten im Regierungsbereich, zwischen den Bundesorganen und TV-Studios. Wir wollen beobachten, was für Spiele hier stattfinden. Und die Formunsicherheit der gegenwärtigen Berliner Republik beschreiben.“

Neben dem Ensemble, das zur Hälfte neu besetzt wird, soll vor allem eine feste Riege von AutorInnen bei der Beschreibung helfen. Theresia Walser etwa „mit ihrem ganz spezifischen Blick auf Berlin, weit weg vom Reißerton“ oder auch Urs Widmer und Thomas Hürlimann, mit denen er schon früher zusammenarbeitete. Mehr neue Stücke als alte sollen auf dem Spielplan stehen, aber Klassiker werden nicht fehlen. Das Theater, so Hesse, müsse sich eine Art elitären Gestus erhalten.

Seinen „Wertekonservativismus“ betont der 56-Jährige gerne: „Wir werden hier nicht ein weiteres Dekonstruktionstheater haben.“ Dass die Pole seiner Arbeit – das Theater als Kritikinstanz im Regierungsviertel auf der einen Seite und junge, zeitgenössische Dramatik auf der anderen – zumindest verbal bereits von Claus Peymann und Thomas Ostermeier belegt sind, kümmert ihn nicht. „Wir versuchen uns auf das zu konzentrieren, was uns interessiert. Und ich sehe kein Theater, das Berlins Alltag so erzählt, wie wir es vorhaben.“

Die künftigen Gorki-RegisseurInnen werden erst morgen auf der Pressekonferenz genannt, Stephan Müller, Katharina Thalbach, Kazuko Watanabe und Nicolas Stemann sind jedoch mit großer Sicherheit dabei. Die Jagd nach Shootingstars sei ihm zutiefst zuwider, versichert der freundliche, leicht voluminöse Mann überzeugend.

Was die Künstler auszeichne, mit denen er arbeiten will? „Ich suche Menschen, die dieselbe Fragestellung haben. Menschen mit Differenzierungsvermögen.“ Solche Leute gehen nicht immer den direkten Weg: Eine 25-jährige Regisseurin wird beispielsweise ein Stück über die Telekommunikationsgesellschaft fast ohne Technik realisieren, ein junger Regisseur experimentiert an einem Genomlibretto mit einem Schweizer Alphornisten. Ein Alphorngenomlibretto? Volker Hesse strahlt zufrieden und voller Vorfreude.

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