: Fast wie in Freiburg
Zwischen Marx und Godard, später auch unter Zuhilfenahme hübscher Hollywoodstars, entstand in Jugoslawien das Genre des Partisanenfilms. Das „balkan black box“-Festival präsentiert eine Auswahl und somit den Bergpartisanen an sich und unter sich
von HELMUT HÖGE
Jugoslawien ist das Partisanenland schlechthin. Und fast alle schrieben ihre Erinnerungen auf. Die Hälfte von ihnen, nämlich 400.000 Leute, hatte man sogleich nach dem Krieg in Rente geschickt, und die meisten von ihnen waren noch jung, um die dreißig etwa. Die „Kunst“ der neuen jugoslawischen Politiker bestand vor allem darin, die linke Partisanentradition mit den jeweiligen rechten Nationalismen zu verknüpfen. Dieser Prozess begann bereits unter Tito und war zunächst gegen die neomarxistische Studentenbewegung gerichtet. Nach deren Zerschlagung entstand eine Reihe von Filmen, die sich kritisch mit dem Land auseinandersetzten: die so genannte „Schwarze Welle“. Später wurde ihr von oben mit einer „Roten Welle“, in der das Partisanenthema mit Hollywoodstars verkitscht wurde, entgegnet.
Auf dem Berliner Musik- und Filmfestival „balkan black box“ wird jetzt der „schwarze“ Partisanenfilm „Frühe Werke“ von Zelimir Zilnik gezeigt, dem dafür 1969 auf der Berlinale ein Goldener Bär verliehen wurde. Der Regisseur war Dissident und gehörte zur Nomenklatura. Sein Film über drei junge Männer und eine revolutionäre Frau, die vergeblich die Kulturrevolution aufs Land zu tragen versuchen, zeigt, wie sehr die jugoslawische Studentenbewegung mit der im Westen identisch war.
„Frühe Werke“ bezieht sich zwar auf Marx, könnte aber genausogut auch auf Godard gemünzt sein. Und die Land- und Betriebsarbeit der vier Helden im 2CV könnte genausogut auch in Freiburg oder in der Toscana gedreht worden sein. Tatsächlich entstanden damals hunderte solcher oder ähnlicher Filme. Selbst die Hauptdarsteller sahen alle gleich nach Jeunesse dorée aus und gaben sich gerne nackt und natürlich. Da hat sich die Berlinale-Jury wohl gesagt: „Geben wir Zilnik den Bären – dann ärgern wir wenigstens Tito und nicht unsere neue Klasse!“ Die „balkan black box“ zeigt von Zilnik außerdem noch den 1994 entstandenen Film „Marmorarsch“. Dieser handelt von den neuen Pseudopartisanen – von „Männern!“, wie Merlin, einer von zwei Transvestiten, die die Hauptrolle darin spielen, abfällig meint. Als Prostituierte schläft sie vor allem mit jungen Serben, wobei sie sich als Blitzableiter für deren Aggressionen versteht. Was der Belgrader Anthropologe Ivan Colović mit seiner Analyse einiger serbischer Alltagsmythen unter dem Titel „Bordell der Krieger“ versuchte, unternimmt hier Zelimir Zilnik, der inzwischen in Budapest lebt, in einem Spielfilm – mit wunderbaren Schauspielern.
Mit den alten Partisanen, die nicht sterben wollen, beschäftigt sich auch Emir Kusturicas Film „Underground“. Die Verbindung der Unbeugsamen mit der Oberwelt stellt ein Schmuggler her, der ihnen ihre selbst gebauten Waffen abnimmt. Er redet ihnen ein, die Deutschen würden noch immer das Land besetzt halten – „was inzwischen schon fast wieder Realität geworden ist,“ wie die „balkan black box“-Festivalveranstalter in ihrem Info schreiben. „Underground“ entstand 1995.
Mit der Vermarktung der Partisanen und ihrer alten Mythen befasst sich außerdem noch der kroatische Film „Marschall Titos Geist“. Daneben gibt es aber im Rahmen des Festivals am Montag auch noch einen ganzen „Partisanenabend“ – im Verein der Visionäre. Dabei kommen neben einer Jugo-Oldie-Disco alte „Partisanenfilme im Original“ zur Aufführung. Zudem soll in einer Reihe von Diskussionsforen mit Filmemachern und Produzenten aus dem ehemaligen Jugoslawien thematisch an die Filmbeiträge angeknüpft werden: „Im Mittelpunkt steht hier eine Bestandsaufnahme der gesellschaftlichen Transformation auf dem Balkan und ihr Potenzial für die Öffnung lokaler, unabhängiger Kulturlandschaften“. Aus diesen – ein etwas unglücklich gewähltes Wort – „Landschaften“ waren vor zwei Wochen bereits einige pazifistische junge Anarchisten angereist, um in der Volksbühne-Ost von ihren „Projekten“ zu berichten.
In Berlin lebt inzwischen der 1953 geborene Filmregisseur Zoran Solomun. Sein Dokumentarfilm über den chinesischen Markt in Budapest handelt von vier Balkan-Intellektuellen, die sich nun auf ihre alten Tage als Schmuggler durchschlagen müssen. Zoran Solomun erzählte mir einmal: „Es stimmt, der Partisanen-Mythos hat sich bei uns lange gehalten. Als wir 1990 nach Berlin kamen, war meine Tochter 9 und mein Sohn 11 Jahre alt. Sie hat sich in ihrer Entwicklung als Mädchen nicht so sehr wie ihr Bruder mit mir identifiziert. Und diese ganze jugoslawische Partisanen-Geschichte interessiert sie kaum. Manchmal betrachtet sie z. B. meine Tante, die Partisanin war, wie eine Fremde. Mein Sohn hat dagegen etwas mehr von mir. Gerade dieser Tante schrieb er 1991 in einem Brief: ‚Liebe Tante, es geht uns gut, Berlin ist eine schöne Stadt, hier sind alle Leute Deutsche – nur wir sind die einzigen Partisanen.‘
Er wollte sie natürlich ein bisschen ärgern. Gleichzeitig aber zeigt das, wie weit diese einfache Weltsicht – der Partisanen von einst – gegangen ist. Es hat natürlich in Jugoslawien immer Leute gegeben, die sich nie als Partisanen begriffen, immer nur als Kroaten, Serben etc. Aber fast alle, die an der Macht waren, hatten eine Identität als Partisanen.“
„balkan black box“- Kunst-, Musik- und Filmfestival: Bis 20. Juni in den Kinos Nickelodeon, Acud, Blow Up und Lichtblick, im Pfefferberg, der Galerie Walden und im Theatersaal des Acud
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