: Wenn der Fisch den Hut nimmt
Die Berliner packen die Badehose ein. Wo sie das gute Stück anziehen und welche Seen sie der Umwelt zuliebe nur aus der Ferne beobachten sollten, ist den Freizeitplanschern oft nicht bekannt. 45 Prozent der Tier- und Pflanzenwelt sind bedroht
von HOLGER KLEMM
Röhrchen halten, Wasser lassen, Stöpsel drauf und ab ins Labor. Alles läuft so ähnlich ab wie beim Urintest. Und auf den Uringehalt hin werden die Gewässerproben aus den Berliner und Brandenburger Badeseen auch untersucht – aber auch auf Algen, Umweltgifte, Sichttiefe. Regelmäßig geschieht das, alle zwei Wochen von Mitte Mai bis Mitte September. Insgesamt 28 Untersuchungsparameter werden gecheckt. Die EU-Richtwerte schreiben nur 14 Tests davon verbindlich vor. Über die Ergebnisse informieren das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit Berlin (LAGetSi) und das Brandenburger Umweltministerium im Internet und per Hotline. Sind die Werte im gesundheitsschädlichen Grenzbereich oder gar darüber, gibt es Warnungen bis hin zu Badeverboten.
Mal wieder Weltspitze?
Aktuell warnt das Amt vor dem Baden in eine Reihe innerstädtischer Seen. Aus hygienischen Gründen sollen Grunewald, Halensee und Plötzensee gemieden werden. Grund sind fäkale Verunreinigungen. Nicht empfohlen ist das Baden in dem Kleinen Wannsee, Stölpchensee, Pohlesee, Griebnitzsee und Glienicker Lake. Dort schwankt die Wasserqualität sehr, bedingt auch durch starke Regenfälle, die den ufernahen Dreck in die Gewässer spülen.
Hundekot ist neben den Überresten gut gemeinter Entenfütterorgien ein ideales Fressen für Algen, die sich schlagartig vermehren und das Badevergnügen arg trüben. Generelles Badeverbot aus Sicherheitsgründen gilt in der Spree, der Havel und in den Kanälen sowie an Brücken, Schleusen und Schiffsanlegestellen.
Nun aber auch die gute Nachricht: In allen anderen Gewässern Berlins und Brandenburgs kann gefahrlos geschwommen und geschluckt werden. „Die Wasserqualität ist in den vergangenen Jahren ständig besser geworden“, sagt Dr. Harald Krüger, LAGetSi-Facharzt für umweltbezogenen Gesundheitsschutz. Er wüsste nicht, was es noch zu verbessern gebe. Rund 98 Prozent der Berliner Abwässer werden geklärt. Viele der Seen, auch das „Problemkind Grunewaldsee“, wurden in den vergangenen Jahren saniert; Bodenschlick und Faulschlamm ausgebaggert.
LAGetSi-Pressesprecher Robert Rath sieht in Berlin gar die einzige Stadt auf der Welt mit so vielen und guten innerstädtischen Badegewässern. Jeder könne sich über Internet oder Hotline ausführlich informieren. Auf der Homepage wird jeder See einzeln mit Farbpunkten grün, gelb und rot – analog der Ampel – bewertet. Bei massiver Grenzüberschreitung ist Schwarz vorgesehen. „Dann zerrt die Polizei die Gäste aus dem Wasser und sperrt das Ufer ab. Aber“, setzt Rath nach, „das kam in den vergangenen zwölf Jahren nie vor.“
Fauna und Flora bedroht
Trotzdem vertrauen viele Hauptstädter eher dem Brandenburger Wasser und der naturnahen Idylle. Das Wasser in Brandenburg ist derzeit durchweg im grünen Bereich. Fast drei Viertel der Haushalte sind inzwischen an die Kanalisation angeschlossen. Vor zehn Jahren war es erst jeder zweite. Hinzu kommt, dass durch die infolge der Vereinigung lahm gelegten Großbetriebe im Land die Industrieabwässer nur noch tröpfeln. Und schließlich kommen auf die 2,6 Millionen Brandenburger rund 3.000 Seen mit 222 öffentlich ausgewiesenen Badestellen, auf die 3,4 Millionen Berliner nur knapp 60 Gewässer, 28 davon sind nach EU-Richtlinien genehmigte Badeseen.
Gebadet wird natürlich überall, das ist bekannt. Man wisse, sagt Rath, dass sich etwa in Kaulsdorf trotz naturschutzrechtlichem Verbot die Badegäste tummeln. Für Pflanzen und Tiere in den betroffenen Seen hat das LAGetSi keinen Schutzauftrag. „Was interessiert mich der Fisch?“, fragt Krüger. „Als Humanmediziner bin ich für den Menschen da.“ Dabei werden Tiere und Pflanzen durch wildes Baden extrem gestört.
Günther Peter von der Aktionsgemeinschaft Artenschutz (AGA) spricht von „Angstzuständen für Fische und Reptilien“ – ausgelöst durch die weiträumig übertragenen Frequenzen von Wellen und Geräuschen. Auch der ohnehin schon gefährdete Uferbereich mit Schilf und Seerosen wird weiter geschädigt. Vögel und Wassertiere verlieren die letzten geschützten Orte zur Aufzucht ihrer Jungen. Peter fordert von den Behörden, sich stärker um die geschützten Seen zu bemühen. In Brandenburg gelten nach Aussage von Umweltminister Bithler 45 Prozent aller wild vorkommenden Tier- und Pflanzenarten als in ihrem Bestand bedroht. Als einen der Hauptgründe nennt die AGA umweltgefährdendes Freizeitverhalten: „Die Natur kommt nicht zur Ruhe.“
Infos: www.brandenburg.de/land/mlur/badestellen und www.lagetsi.berlin.de Hotline des LAGetSi: Tel. (0 30) 90 21 60 00
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen