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Das Unaufhaltsame aufhalten

Gentechnik ist eines der Topthemen auf dem Kirchentag. Die Angst vor den Entwicklungen ist groß. Am meisten erschreckt die eigene Machtlosigkeit

aus Frankfurt a. M. HEIDE PLATEN

Als hätten sie es geahnt, sitzen die Organisatoren „zufrieden und froh“ zur täglichen Bilanz im Saal „Europa“ auf dem Messegelände in Frankfurt am Main. Zwei Jahre Vorbereitung, und doch ist zum 29. Evangelischen Kirchentag auf einmal alles und allen so, als sei es ihr Vorausahnen und Wollen gewesen, dass Kirche wieder mittendrin ist im gesellschaftlichen Diskurs. Kirchentagspräsident Martin Dolde sah gar „genau die Impulse erzeugt, die wir uns erhofft haben“. „Klare Ziele, klare Aussagen“ verlangte der Stuttgarter Laie, der im Hauptberuf Manager bei DaimlerChrysler ist, der Amtskirche ab. Es seien, sagte er, die „G“-Worte des Kirchentagsprogramms, die die Menschen bewegen: Glaube, Geld, Gewalt. Und eben: Gentechnik. Deren Aktualität, räumte er ein, sei zu Beginn der Planungsphase noch nicht abzusehen gewesen.

Die leitenden evangelischen Christen sprachen dennoch mit einer Zunge. Die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann predigte flugs zur Eröffnung, dass das diesjährige Motto „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ (Psalm 31,9) zwar einerseits als Aufruf zu Toleranz und zu Vielfalt des Glaubens verstanden werden dürfe, die Freiheit aber Grenzen kenne. Zum Beispiel die Gentechnologie. Das Erzeugen von Embryonen oder deren Selektion in lebenswert und lebensunwert müsse „stets kritisch beurteilt“ werden.

Parallel bekräftigte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Mandred Kock, seine ablehnende Position. Die Hoffnungen schwer Kranker auf Heilung durch den medizinischen Einsatz von menschlichem Leben würden derzeit einseitig bestärkt, „zu rosig gemalt und Risiken verschwiegen“. Auch der Präsident der gastgebenden Hessen-Nassauischen Landeskirche, Peter Steinacker, predigte auf dem Römerberg, die menschliche Würde dürfe nicht zugunsten der Wissenschaft angetastet werden, schon gar nicht für gewinnorientierte „Ökonomie, die die Ergebnisse der Forschung vermarktet und dem Wohl der Menschen zu dienen scheint“.

Erstes großes Forum zum Thema war ein Vortrag des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungerichts, Ernst Benda, der im voll besetzten Saal der Alten Oper referierte und, selbst beteiligt an der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Revision des Abtreibungsparagrafen 218, auf seine eigenen Überlegungen aus dem Jahr 1984 verwies. Der Mensch sei von Natur aus unvollkommen, zu seinem Wesen gehöre „Unergründliches, das sich nicht offenbart, wenn man ihn in seine chemischen oder genetischen Bestandteile zerlegt“. Der Mensch möge sich wohl „nach persönlicher Überzeugung als Ebenbild Gottes sehen, aber er wird selbst wissen, wie weit er auch im besten Fall von diesem Ideal entfernt bleiben wird“. Solche Gedanken seien damals „nur auf geringes Echo gestoßen“, die Diskussion um die Menschenwürde sei allzu oft für banale Konflikte missbraucht worden. Die derzeitige Auseinandersetzung sei, so Benda, für ihn „überraschend“. Die Biomedizin stehe „vor einem gewaltigen Schritt“ mit unbekanntem Ausgang und sie setze „den Staat unter einen moralischen Druck“.

Bis jetzt aber sei die Gesetzeslage eindeutig. Sowohl die Präimplantationsdiagnostik (PID), das therapeutische Klonen wie auch die Forschung an embryonalen Stammzellen seien „durch das geltende Embyonenschutzgesetz strafbewehrt untersagt“. Dass die Gesetze derzeit das ungeborene Leben bei Schwangerschaft weniger schützten als das in der Retorte, sei, so Benda, kein Widerspruch. Befürworter von PID vernachlässigten die Tatsache, dass auch der Gesetzgeber ungeborenes Leben „nicht gegen den Willen der Mutter“ wirksam schützen könne. Deshalb habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung von 1993 der „einmaligen Situation des Mutter-Kind-Verhältnisses Rechnung getragen“ und den Schwerpunkt auf die Beratung der Mütter gelegt. Dieses Rezept aber tauge nicht für die „Lösung des Konflikts zwischen Forschungsfreiheit und Lebensschutz des Embryos“ im Labor. Dort könne nicht der Grundsatz „Rechtswidrig, aber nicht strafbar“ gelten. Denn dann sei „ein nicht einmal subtiler Schleichweg aus einem ethischen und juristischen Dilemma“ offen auch für das Klonen und die Euthanasie.

Während die Diskussionsteilnehmer „die Angst, dass wir als Christen diese Entwicklung überhaupt nicht mehr stoppen können“ artikulierten, mühte sich die Kirchentagsleitung, einen der Befürworter des Verbrauchs von Embryonen auf das Podium zu bekommen. Es lud den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement kurzfristig per Fax für das große „Forum Gentechnik“ ein, das heute um 11 Uhr in der Festhalle auf dem Messegelände beginnt. Clement hat für den Nachmittag zugesagt. Im Vorfeld war er von Steinacker heftig für sein Befürworten der Forschung mit embryonalen Stammzellen angegriffen worden. Es gehe nicht an, so Steinacker, „in der politischen Praxis Fakten zu schaffen“, ehe der Gesetzgeber „nach gründlicher Debatte klare Regelungen“ getroffen habe. Allerdings kritisierte Steinacker auch die Ethikkommission, die angekündigt hat, dass Ergebnisse ihrer Debatte erst in zwei Jahren vorliegen werden: „Bei dem heutigen Tempo der Wissenschaftsentwicklung dauert das zu lange.“

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