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DIE RANDALE BEIM EUROPÄISCHEN GIPFEL SCHADET AUCH DEN EU-GEGNERNUnter den Pflastersteinen

Guter Wille lohnt sich nicht, war das bittere Fazit, das Aftonbladet, Schwedens auflagenstärkste Zeitung, zog. Da hat erstmals eine Ratspräsidentschaft versucht, Proteste und EU-ZweiflerInnen ernst zu nehmen, sie zu treffen und mit ihnen zu diskutieren. Und das Resultat in Göteborg? Schüsse, Schwerverletzte, Delegationen, die aus Sicherheitsgründen ihre Hotels räumen mussten. Randale um der Randale willen. Ein regelrechter Krieg gegen die Polizei, die unzureichend vorbereitet war und taktisch zweifelhaft agierte: Da sie personell schwach und mangelhaft ausgerüstet war, ging sie unnötig gewaltsam vor und heizte die Randale damit an. Ausgelöst hat sie die Krawalle allerdings nicht. Die Randale war geplant, und der Anlass wurde dankend wahrgenommen.

Die schwedischen Medien fanden angesichts des zerschmetterten Gipfelfests allenfalls Trost darin, dass es nicht die eigenen EU-KritikerInnen waren, die sich da austobten, ohne ein winziges Fünkchen politischer Botschaft herüberbringen zu wollen. Sondern die Deutschen, die Dänen, die Holländer, die Franzosen. Die vom Kontinent angereisten Hooligans eben. Man muss nicht gleich wie Aftonbladet den Vergleich zu Hitlers Sturmtruppen ziehen, die in den Dreißigerjahren die Straßen deutscher Städte terrorisierten. Doch wurde hier weit mehr zerschlagen als nur hunderte Schaufenster. Die Steine trafen auch die berechtigten Proteste der EU-GegnerInnen, waren damit eine Niederlage für die demokratische politische Kultur. Und für zehntausende, die nach Göteborg gekommen waren, um ihre Kritik an der EU mit Argumenten, Transparenten, Sprechchören oder durch ihre bloße Anwesenheit zum Ausdruck zu bringen.

Die PolitikerInnen, die dieses EU-Projekt seit Jahrzehnten meist ohne ausreichende demokratische Verankerung durchdrücken, die die Interessen der Wirtschaft ernster nehmen als den Widerstand von unten, haben jedoch ihr gerüttelt Maß Schuld an den Pflastersteinen, die in Göteborgs Straßen ausgegraben wurden. Einerseits verbale Kritik und den freien Dialog zu begrüßen, sich andererseits aber hinter Mauern und Zäunen zu verschanzen, das sendet die falschen Signale.

REINHARD WOLFF

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