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Überall Rhythmus

■ Die Bremer Kunsthalle zeigt das Lebenswerk des norddeutschen Malers, Fotografen und Filmemachers Alfred Ehrhardt. Und weist darauf hin, wie Landschaftsfotografie Politik machen kann

Nach der medialen Grenzgängerin Elfriede Stegemeyer, von der Kunsthalle 1998/99 ausgestellt, ist Alfred Ehrhardt (1901 - 1984) der zweite interdisziplinäre Vertreter „Neuer Sachlichkeit“, mit der die Kunsthalle ihre traditionelle Zentrierung auf Gemaltes behutsam korrigiert. Direktor Wulf Herzogenrath: „Wir wollen weg von den medialen Ghettos mit ihrer künstlichen Spartentrennung – und zeigen, dass der Fotografie ein gleichrangiger künstlerischer Stellenwert zusteht.“ Mit Ehrhardt zeigt die Kunsthalle in der Tat einen Künstler, der Malerei, Fotografie, Filmkunst (und Musik) homogen verbunden hat. Schon sein erstes datierbares Bild – es stammt von 1929 – zeigt verschiedenste Elemente: Kandinskysche Kreise bilden eine rhythmische Reihe, serielle Flächen verweisen auf filmische Strukturen – und zu allem Überfluss ergibt das Ganze das Abbild einer Gitarre. Ästhetisch beeindruckender sind die rigorosen Vereinfachungen von Körperformen, mit denen Ehrhardt sein „Urtier“ und den „Kopf“ dargestellt hat. Auch wenn viele der ausgestellten Bilder Studiencharakter haben, weisen sie Ehrhardt doch als talentierten Maler aus.

Die Nationalsozialisten sahen das zunächst anders und belegten den Bauhaus-Schüler mit Berufsverbot. Ehrhardt ging vorübergehend ins dänische Exil, zog aber 1934 nach Cuxhaven, wo er als Organist arbeitete. Dort fand er sein Lebensthema: Rhythmen in der Natur.

Zwangsweise auf die Leica beschränkt, erforschte Erhardt die Typologie des Watts, erstellte sozusagen ein Musterbuch dessen, was Wasser mit Sand an seriellen Verbindungen eingeht. Das gleiche Prinzip fand der immer enthusiastischer Fotografierende in der kurischen Nehrung, dort mit Wind als ästhetisch formendem Partner. In den Worten der zeitgenössischen Presse: „Immer zieht es Alfred Ehrhardt dorthin, wo noch erster Schöpfungstag herrscht, wo die Elemente noch ungeschieden sind und miteinander um die endgültige Lebensform ringen.“ Erhardts eigener theoretischer Überbau liest sich so: „Wir sind am ende einer zeit angelangt und sind genötigt ... mit neuem schwung aus jener rhythmisch armen zeit der übergangsjahrhunderte in eine zeit zu gelangen, die den urquellen näher liegt ... ein kunstwerk ist umso reiner und reifer, je stärker es in der bewegung den rhytmus spüren lässt.“

Den Glauben an den Rhythmus als „geistigen Urgrund“ der verschiedenen Kunstgattungen teilte Ehrhardt mit zahlreichen – zum Beispiel anthroposophischen – Zeitgenossen, für die er freilich eher vernichtende Seitenhiebe übrig hatte („ich habe noch nie einen wirklichen (anthr.) Künstler kennengelernt, im Gegenteil sehr bedenkliche Dinge aus jenen Kreisen gesehen“). Was Ehrhardt auszeichnet, ist die Konsequenz und der geradezu lexikalische Eifer, mit der er seinen Rhythmus-Manifestationen nachforschte. Der analytische Blick seiner Kamera dehnte sich von Muscheln, Schnecken, Korallen und Schwämme bis hin zur Kristallographie aus. Er gelangte über die Stationen Landschaft und Objekt schließlich zur Zelle, dargestellt mit der Mikroskop-Fotografie – ein Genre, das unter den KollegInnen erst in den 50er Jahren zur großen Mode wurde.

Das alles zeigt die Kunsthalle und lässt verdienstvoller Weise nicht aus, wie sich Erhardts Ansatz einer Vergeistigung des Materiellen in die ideologischen Interessen des „Dritten Reichs“ einpasste. Während Vertreter des experimentellen Avantgarde-Films wie Fischinger aus Deutschland fliehen mussten, erlebte Ehrhardt einen regelrechten Boom. Zahlreiche „Kulturfilme“ und 14 bis 1945 erschienene Bildbände belegen, wie sehr ihn auch das Propagandaministerium zu schätzen lernte. Sein (verschollener) Wattfilm von 1937 – „Urkräfte am Werk“ – etwa wurde von der Filmprüfstelle für „geeignet“ befunden, „an staatlichen Feiertagen vorgeführt zu werden“. Landschaft kann Politik machen: Zur visuellen Untermauerung des nordischen Mythos eigneten sich Ehrhardts Filme hervorragend, zum Beispiel der Streifen „Nordische Urwelt“ von 1941, Frucht einer Island-Expedition.

Ehrhardt stellte sein filmisches Können auch ganz unmittelbar in den Dienst der Befriedungspolitik in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten. 1941 arbeitete er an einem Streifen über Baudenkmäler im „Protektorat Böhmen und Mähren“, die den Nachweis der „urdeutschen Zugehörigkeit“ des eroberten Raums zum Ziel hatten; 1943 zeigte Ehrhardt „Flanderns germanisches Gesicht“. „Diesen Aspekt seines Werkes haben wir bewusst nicht ausgeklammert“, erklärt Kuratorin Christine Hopfengart.

Ehrhardt, der „Großmeiser der Sparte Kulturfilm“ (Hopfengart), drehte nach dem Krieg sehr erfolgreich mit einer eigenen Produktionsfirma weiter, gewann diverse Bundesfilmpreise (zum Beispiel mit einem 30-Minüter über Ernst-Barlach-Skulpturen), Hollywood nominierte ihn als Oscar-Anwärter, die UNESCO forderte 1949 den weltweiten bildungspolitischen Einsatz seiner Kulturfilme. In welchem Maß die inhaltlichen Implikationen seiner Arbeiten Überzeugung oder aber bloßer Überlebensstrategie geschuldet waren, ist schwierig zu entscheiden. Unzweifelhaft lässt sich Ehrhardt als Verteter einer konservativen Zivilisationskritik bezeichnen – als ein sehenswerter.

Ein Großteil der Exponate kommt übrigens aus einem Reihenhaus am Rand von Rotenburg/Wümme. Dort betreibt Gerd Schnakenwinkel die private „Galerie für Fotografie“ (GAFF), in der er einen Teil von Ehrhardts „Urlandschaften“ schon vor zehn Jahren zeigte. Dass nun auch die Kunsthalle den Jubilar entdeckt, ist mehr als ein regionaler Zufall. HB

Die Ehrhardt-Retrospektive ist noch bis zum 26. August in Bremen zu sehen, kommenden Dienstag um 18 Uhr im Rahmen einer öffentlichen Führung.

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