zwischen den rillen: Prefab Sprout nähern sich dem Mythos Amerika
Holzpferd in der Prärie
Paddy McAloon wusste schon früh um seine Bedeutung. Schon 1985 bezeichnete er sich in einem Interview als womöglich besten Songschreiber des Planeten. Damals hatte der 27-Jährige mit Prefab Sprout gerade sein zweites Album „Steve McQueen“ veröffentlicht.
Der Größenwahnsinn hatte etwas Beruhigendes: Es gibt da einen, der wird es schon richten, der wird die Geschichte des Schönen fortschreiben. Er wird vielleicht verrückt werden wie Brian Wilson, aber doch auch mindestens so genial. Der Traum vom perfekten Popsong hatte in McAloon seinen somnambulen Deuter und Protagonisten zugleich gefunden.
In den 90ern hörte man nicht mehr viel von Paddy und Prefab Sprout – bis 1997 ihr Comeback den Glauben an den Song in Zeiten des Tracks wieder aufleben ließ: Auf „Andromeda Heights“ besang McAloon die Liebe, wie es die Minnesänger seit 1.000 Jahren taten, versponn sich in musicalhaft-schwelgerische Songgewebe, die nicht von dieser Welt zu sein schienen, sich mit ihren ausgefeilten Arrangements im Raum ausdehnten. Wie bei allen großen Romantikern schimmerte der Schmerz unterm Glückhaften durch, das verlorene Popzeitalter wurde als nostalgische Reminiszenz vergegenwärtigt, und das Naiv-Einfache der Lieder war nur das Verlockende, hinter dem sich ein musikalischer Reichtum und eine rätselhafte, aus neuester Technik entwickelte Komplexität verbargen. Mit seinem sechsten Album spielte er, wo er immer schon spielen wollte: in einer Liga mit Burt Bacharach oder Paul McCartney. Aber auch außer Konkurrenz: Bei Prefab Sprout ist alles ein Stück weitergedreht, überzogen mit dem Wissen, dass die Songmoderne nur noch im Gestus der Überbietung und Opulenz ins nächste Jahrhundert zu retten ist.
Nun hat McAloon ein neues Album zusammengestellt: Ein Country-Album – aber eines, wie man es sich nicht in Nashville, sondern wohl nur im nordenglischen Newcastle erträumen kann. „The Gunman and Other Stories“ versammelt Songs, die sich dem Mythos Amerika als großes Westernepos nähern: voller romantischer Sehnsucht, die sich auf einen längst zum Zitat gewordenen Ort richtet, voller Klischees, die sich im Kontext der Musik zur reinsten Poesie aufladen. Da erklingt zuweilen ein Banjo oder eine Steel-Guitar, da werden Versatzstücke aus dem Fundus der Westernrevue eingebaut, da kommt die Liebe als „Gunman“ daher oder als „Silver Bullet“, die deine Welt zerreißt. Und immer ist es Paddy McAloons suggestives Songwriting, seine zärtliche Stimme, die uns bedeuten will: Wir dürfen mit ihm auf einem Holzpferdchen durch eine imaginäre Prärie reiten. Aber nicht eine New Frontier ist das Ziel, sondern wie üblich der Weg. Und den säumen bezaubernde musikalische Details, galoppierende Pferde, lodernde Kornfelder, miauende Mannsbilder oder wärmende Balladen, die auch John Wayne zum Weinen gebracht hätten.
Einige der Songs wurden bereits von anderen Musiker aufgenommen – „The Gunman“ von Cher oder „Cowboy Dreams“ von Jimmy Nail. Wer diese Aufnahmen kennt, wird über die „Cover-Versionen“ von Prefab Sprout beglückt sein. Das Album ist zwar insgesamt nicht so dicht wie „Andromeda Heights“, nicht so verrückt und visionär; auch hat sich diesmal der legendäre Bowie-Produzent Tony Visconti am Mischpult betätigt und nicht McAloon höchstselbst, was vermutlich vor einer allzu großen Verstiegenheit bewahrt hat. Aber das Album ist als weiteres Lebenszeichen des begnadeten McAloon großartig: ein heute kaum mehr denkbares, nach Höherem strebendes Popschmuckstück inmitten einer vermeintlich in Gänze zu Pop gewordenen Welt.ULI RÜDENAUER
Prefab Sprout: „The Gunman and Other Stories“ (EMI)
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