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La littérature, c’est moi!

Aus dem Nähkästchen geplaudert: eine Doppelbesprechung, Marcel Reich-Ranicki und die Frage, wer den König spielt

Gestern trug sich eine Parallelaktion zu, die nur bemerken konnte, wer zugleich Zeit und FAZ las: Beide führenden Blätter besprachen ein und dasselbe Buch. Das muss nichts Auffälliges sein. Manchmal überschlagen sich alle Zeitungen geradezu mit ihren Besprechungen, was dazu führt, dass ein Roman überall vorkommt. Der Fall ist das aber eigentlich nur nahe am Erscheinungstermin des Buches. Hier aber handelt es sich um Alistair MacLeods Roman „Land der Bäume“, der schon im März erschien und – trotz des Einsatzes von Michael Ondaatje (MacLeod sei „der größte zu entdeckende Schriftsteller unserer Zeit“, wird er zitiert) – leider bis jetzt unterging. Warum also nun plötzlich diese Gleichzeitigkeit?

Wer weiß, welche Bücher heute im „Literarischen Quartett“ verhandelt werden, wird an Zufall nicht glauben. Neben Georg Klein, Zeruya Shalev, Martin Kessel und Guy de Maupassant findet sich dort, genau, auch Alistair MacLeod auf der Autorenliste. Damit ist schon alles klar. Nach dem „Quartett“ mit seinem Artikel zu kommen wird allgemein als Blöße empfunden; also planen Literaturredaktionen die Besprechung gerne noch schnell vorher ein. Gut für Alistair MacLeod; eine andere Frage aber ist, was das bedeutet.

Aus dem Kino und dem Theater kennt man den Lehrsatz: Den König spielen die anderen. Der Satz meint, dass man, um einen König darzustellen, nicht nur einen würdigen Königsdarsteller braucht, sondern auch die Unterwürfigkeit, Angst und Demut im Verhalten der Untergebenen. Was im Übrigen nur eine Einsicht des philosophischen Konstruktivismus illustriert, nach der Macht nicht von oben nach unten ausgeübt, sondern von unten nach oben delegiert wird.

Nun wird Marcel Reich-Ranicki gerne als Papst beschrieben, eigentlich aber ist er doch der König unseres Literaturbetriebs. Wie viel Einsatz der Untergebenen es bedarf, ihn als solchen ins Bild zu setzen, das konnte man Anfang der Woche im Spiegel studieren: seitenlang dankbare Fragen, flankiert von Einführungstext, Begleittext, unzähligen Bildelementen und dem Coverfoto – und siehe: La littérature, c’est moi! Am Beispiel Alistair MacLeods (der dafür gar nichts kann) kann man im Kleinen sehen, woher die Königsmacht Reich-Ranickis im Detail rührt: aus unzähligen Liebdienereien und Kotaus der anderen.

Hier lässt sich nun ein seriöser sowie ein unseriöser Schluss anfügen. Der seriöse müsste darüber nachdenken, warum es immer noch nicht recht möglich ist, neben den boulevardförmigen Vermittlungsagenturen wie dem „Literarischen Quartett“ die differenzierten wie Zeitungsbesprechungen selbstbewusst gelten zu lassen. Aber werden wir lieber unseriös: Als sich kürzlich einige Dutzend Schriftsteller, Kritiker und Lektoren auf Schloss Elmau zu einem internen Meinungsaustausch trafen, entfuhr einem der Teilnehmer die Bemerkung: „Und wer steht an der Spitze des Literaturbetriebs? Ein älterer Herr, über den im Grunde sowieso alle lachen.“

Dass Könige nackt sind, sollte allerdings eigentlich nicht nur Märchenlesern klar sein.

DIRK KNIPPHALS

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