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PAPSTBESUCH: RUSSISCH-ORTHODOXE KIRCHE GEBÄRDET SICH WIE SEKTEEngstirnig und totalitär

Man kann ein Anhänger von Papst Johannes Paul II. sein oder nicht. Man kann es politisch ungeschickt finden, dass er jetzt die Ukraine besucht und damit indirekt den nicht gerade als Bilderbuchdemokraten bekannten Präsidenten Kutschma stützt. Aber sein Recht, sich überall auf der Welt mit den Nöten und Hoffnungen seiner Schäfchen vertraut zu machen, kann man dem Papst nicht absprechen.

Gerade dies tut aber die russisch-orthodoxe Kirche. Sie hat den Papst sogar offiziell gebeten, von seinem Besuch in der Ukraine abzusehen – was man nur als grobe Einmischung in fremde Angelegenheiten bezeichnen kann. Unterdessen gehen tausende russisch-orthodoxe Nonnen, Priester und Gläubige in der Ukraine auf die Straße mit Losungen wie „Orthodoxie oder Tod“, „Verteidigt die Orthodoxie gegen den Vorläufer des Antichristen“ oder „Wir beten, um von dem katholischen Übel erlöst zu werden“.

Der Moskauer Patriarch Alexij II. hat ein Treffen mit dem Papst ausgeschlossen. Sein Vorwurf: Die katholische Kirche würde in der Ukraine versuchen, orthodoxe Gläubige abzuwerben. Dass dies in der Tat gelingen könnte, hat sich die orthodoxe Kirche allerdings selbst zuzuschreiben: Es ist noch nicht lange her, dass die Moskauer Patriarchie als Filiale des KGB funktionierte. „Unsere Bischöfe wurden als Agenten im Vatikan benutzt. Jetzt aber fehlt ihnen Routine auf dem internationalen Parkett. Ohne geheimdienstliche Anweisung fühlen sie sich verwaist“, sagte einmal Pater Gleb Jakunin, der als Reformator innerhalb der Orthodoxie in den 90er-Jahren wenig Glück hatte. Ganz im Geist eines Staatssicherheitsdienstlers äußerte sich denn auch ein offizieller Sprecher der russisch-orthodoxen Kirche, Vater Wsewolod Tschaplin: „Das ukrainische Volk braucht keine auswärtige Agentur als Katalysator für sein spirituelles Wiedererwachen.“

Wie es um die innere Demokratie in der russisch-orthodoxen Kirche steht, kann man schon daran ablesen, dass sie ihre Gemeinden als „primäre Unterabteilungen“ definiert. Experimentierfreudige Priester, wie der Vorsteher einer Moskauer Gemeinde, Vater Borisow, werden vor gewalttätigen Verfolgungen zumindest nicht geschützt. Borisow versuchte Mitte der 90er-Jahre, die Gemeinde aktiver am Gottesdienst zu beteiligen. Die Konsequenz von so viel Freiheit: Zeitweilig wagte er aus Angst vor Morddrohungen nicht, den Weg zu seiner Wohnung zurückzulegen, und übernachtete in der Kirche.

Statt im Wettbewerb die theologische Kreativität seiner Priester zu mobilisieren, greift das russisch-orthodoxe Patriarchat auch zur Erpressung. Dem Papst etwa wurde gedroht, wenn er sich mit den „schismatischen Führern“ der anderen orthodoxen Richtungen in der Ukraine träfe, wäre dies „das Ende aller Beziehungen unserer Kirchen“.

Während sie selbst einer totalitären Sekte ähnelt, ist die russisch-orthodoxe Kirche mit dem Wörtchen „totalitär“ gegenüber anderen Glaubensgemeinschaften schnell bei der Hand. 1997 drückte sie in der russischen Duma ein neues Religionsgesetz durch, das den Staat angeblich vor den Umtrieben totalitärer Sekten schützen soll. Tatsächlich erschwert es erheblich die Missionsarbeit für eher harmlose kleine Kirchen wie Mormonen, Baptisten und Calvinisten und in geringerem Maße auch der Katholiken und Protestanten.

Die Papst-Politik des Patriarchats widerspricht auch den Interessen von Russlands Präsident Putin. Der hatte dem katholischen Oberhaupt schon vor einem Jahr eine Visite im Vatikan abgestattet. Doch der Patriarch kann es sich leisten, die Wünsche seines Präsidenten zu ignorieren. Braucht der doch seinen Segen für den Krieg in Tschetschenien und andere Menschenrechtsverletzungen.

Die Hysterie der russisch-orthodoxen Kirche in der Papst-Affäre zeugt von ihrer schweren internen Krise. Der – trotz aller Hindernisse – große Erfolg von Protestanten, Katholiken und Baptisten in Russland beweist: Das starke religiöse Bedürfnis der Bevölkerung wendet sich zunehmend solchen Geistlichen zu, die die Kirche mit dem modernen Leben verbinden. Dafür spricht auch die in der Provinz erstarkende, von der Orthodoxie ausgehende Bewegung der Jungen Charismatiker.

Die russisch-orthodoxe Kirche war und ist reich an Persönlichkeiten von tiefer Güte und beeindruckender Zivilcourage. Sie hat ihre heutige Führung nicht verdient. BARBARA KERNECK

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